Zuge der andauernden Debatte um eine Reform des Urheberrechts, digitale Selbstbestimmung und Medienwandel besitzen die oft totgesagten Netlabels mit ihrer freien Musik nach wie vor Relevanz.
The Black Atlantic, hier beim Cologne Commons-Festival 2010. Trotz mittlerweile ansehnlicher Erfolge – ausgedehnte Touren führten sie u.a. zum South by Southwest-Festival in Austin, Texas – ist die Band um Singer-Songwriter Geert van der Velde aus den Niederlanden überzeugte Nutzerin von Creative Commons-Lizenzen. (Bild: Simon Bierwald, CC-BY-NC-SA)
Ein Artikel, den ich im August 2012 für das Kölner Magazin Stadtrevue schrieb, trug die zugegebenermaßen optimistische Titelzeile „Maximale Verbreitung – Netlabels krempeln das Musikbusiness um“. Aktuelle und ehemalige Protagonisten der Netlabelszene kamen zu Wort und zur Unterstützung der formulierten These dienten die wissenschaftlichen Arbeiten von Patryk Galuszka, der das Potenzial alternativer Netzmusik untersuchte. Sein Fazit: Netlabels sind zwar ein Nischenphänomen ohne größere gesellschaftliche Relevanz, besitzen aber durchaus ein gewisses Potenzial zur Demokratisierung des Musikbusiness. Das haben Netlabels bisher nicht umgekrempelt, denn aus der Nische heraus war das bisher nicht möglich. Doch in der Zwischenzeit ist einiges passiert.
Mithilfe der frisch gegründeten Musikverwertungsgesellschaft C3S (siehe mein Netzpiloten-Interview mit Wolfgang Senges) kann hier noch einiges passieren. Und es wird freilich nicht nur um die vielbeschworene Aufmerksamkeitsökonomie durch kostenlose Downloads oder die Nutzung von Creative Commons-Lizenzen als Marketinginstrument gehen, sondern vielmehr um eine faire und selbstbestimmte Distribution eigener Werke jenseits von Bürokratie und anachronistischen Abrechnungs- und Vergütungsmodellen. Hier werden nicht nur Netlabels zur von Galuzska formulierten Demokratisierung der Musikindustrie beitragen, sondern auch Musikdienste wie Bandcamp oder Jamendo eine zunehmend größere Rolle spielen.
Ich definiere noch einmal aus meinem Verständnis heraus den Begriff „Netlabel“: Obwohl sie Musik meist zum kostenlosen Download anbieten, betreuen und promoten engagierte Netlabels ihre Künstler ebenso professionell wie traditionelle Labels. Sie stehen für ein eigenes musikalisches Profil und achten auf die Qualität ihrer Veröffentlichungen – inhaltlich wie technisch, von Mix über Mastering bis hin zum Artwork.
Um zu verstehen, warum es Netlabels auch heute noch gibt und sie alles andere als tot sind, warum Betreiber wie Musiker anscheinend so verrückt sind, das alles auch noch vollkommen umsonst zu tun, hilft ein Blick auf ihren Ursprung. Netlabels sind heute – d.h. auch in den 2010er Jahren – immer noch so etwas wie die legitimen Nachfolger der Do it yourself Tape-, Vinyl- oder CD-R-Labels der achtziger und neunziger Jahre.
Damals wie heute wird Musik leidenschaftlich und gut produziert – auch außerhalb von professionellen Studios und ohne große Plattenfirma – und zwar der Kunst und nicht eines von vorneherein angepeilten kommerziellen Erfolgs wegen. Was früher selbstfinanziert auf Tapes, Vinyl oder CD-R unter die Hörerinnen und Hörer gebracht wurde, wird seit Anfang der 2000er Jahre zu deutlich geringeren Kosten im Netz publiziert und über Social Media distribuiert und promotet. Denn im Grunde sind freie Musik im Netz und Netlabel so alt wie das Netz selbst. Sie lassen sich bis zu den Mods, Sound- bzw. Sequenzerdateien des Amiga-Heimcomputers, verfolgen, die über die heute noch aktive Netaudio-Plattform scene.org geteilt wurden.
Nicht wenige – darunter wichtige und sehr gute – Netlabels stellten den Betrieb ein, doch es sind auch zahlreiche neue hinzugekommen. Betrachten wir das Ganze einmal unter dem Aspekt der Konsolidierung: Meinem Eindruck nach hat das Netaudio-Massenphänomen „schnell produzierte und veröffentlichte elektronische Musik“ deutlich nachgelassen und speziell im vergangenen Jahr wurde mehr und mehr freie Musik aus den zuvor unterrepräsentierten Genres Indie, Alternative, Pop, Rock, Folk und Punk veröffentlicht – so viel wie noch nie zuvor. Es scheint als habe auch diese Sparte die Phänomene Netaudio und Creative Commons für sich entdeckt.
Zum Schluss noch eine Anmerkung zu Freier Musik, die vielen, aber vielleicht nicht allen Leserinnen und Lesern bekannt sein wird: Im Verständnis der partizipierenden Musikerinnen, Musiker und Netlabels gilt hier die Philosophie der freien Software mit dem Leitspruch „Frei wie in Freiheit“: Freier Umgang mit eigenen und fremden Werken, freie Zugänglichkeit, Recht auf Remix. In Abgrenzung zu „Frei wie in Freibier“ muss freie Musik nicht gratis sein (kann es aber sein). Oder anders gesagt: Es steht Euch offen, die Bands, Musikerinnen und Musiker zu unterstützen, indem ihr die Musik mit anderen teilt, Konzerte besucht, ihr Vinyl, ihre CDs oder Merchandising-Artikel kauft oder beim Download bezahlt oder spendet.
Und damit dieser Artikel nicht ohne Musik endet – hier noch einige Empfehlungen für den gepflegten Einstieg in eine der schönsten Nischen des Netzes:
Podcasts: Machtdose – FreeQuency – Music Manumit – Klangboot
Blogs/Magazine: Progolog – Netlabelism – Free Music Archive – Stadtrevue Netzmusik
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Schlagwörter: creative-commons, digitalisierung, Medienwandel, Musik, Netlabels
3 comments
Fragt doch einfach mal auf der Straße die Passanten, ob sie Netlabels kennen.