Das geplante Freihandelsabkommen TTIP verlangt von uns als Gesellschaft tiefgreifende Entscheidungen, doch noch besteht Unklarheit über die zu erreichenden Ziele durch das Abkommen.
Das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) wurde als das weltgrößte Freihandelsabkommen angepriesen, das versprach, ein Drittel des weltweiten Handels zu liberalisieren.
Aber vor TTIP machen auch viele böse Zungen nicht Halt: Viele Kritiker aus verschiedenen Bereichen haben ihre Bedenken bezüglich eines Demokratieverfalls und der regulatorischen Hoheitsgewalt geäußert, die mit dem geplanten Abkommen eintreffen wird.
Diese Kritiken sind wichtig und sollten daher sehr ernst genommen werden, denn die Öffentlichkeit sollte sich nicht vor eine Debatte um ihre fundamentalen Prinzipien drücken. Wenn wir unseren bürgerlichen Zielen in einer durchdachten und ausgereiften Weise nachkommen wollen, brauchen wir eine durchdachte und ausgereifte Debattenkultur über die Vorzüge und Ausgaben des Freihandels. Trotzdem wird oft genug die Wichtigkeit dieser Kritiker von dem Chor der Befürworter des Freihandels übertönt.
Die Idee, die hier zugrunde liegt, ist, dass der Freihandel den Menschen und den einzelnen Ländern zugute kommt. Diese Idee hilft dabei, vorherige Bedenken abzuschreiben, welche politischen und demokratischen Folgen das Abkommen jenseits der Geschäftskosten haben könnte. Diese Bedenken sind jedoch durchaus berechtigt, auch wenn sie etwas beunruhigend sein könnten, denn die Gewinnverfolgung wird letztlich dafür sorgen, dass es den Menschen ökonomisch besser geht.
Die wirtschaftlichen Ziele sollen vor den Unannehmlichkeiten retten, die wir auf der politischen Ebene schon erahnen: uns wird gesagt, wir sollen „nicht auf die Kritiker hören“ und „den Hokuspokus des linken Flügels ignorieren, sondern lieber einen Vertrag unterstützen, der jeden von uns reicher machen wird„.
Die begrenzten Erträge aus dem Handel
In Schätzungen wird immer wieder versucht, die Einnahmen, die bei TTIP reichlich vorhanden sind, zu beziffern. Atemlos spricht man hier von Milliardenerträgen, doch werden diese Schätzungen durch Nachforschungen nicht bestätigt, sondern eher untergraben, und es werden nur die fadenscheinigen Vermutungen herausgehoben, auf denen diese Schätzungen aufbauen.
Ein Teil des Problems ist, wie bereits führende Handelsökonomen bestätigt haben, dass es unwahrscheinlich schwierig ist, empirische Messungen der Erträge aus dem freien Handel zu erhalten. Deshalb begründen Unterstützer des Freihandels ihre Befürwortung mit den theoretischen Zahlen. Die Theorie des „komparativen Kostenvorteils“ des Ökonomen David Ricardo beinhaltet diesen Sachverhalt. Hier erörtert er, dass Freihandel ein Gewinn für allen Nationen bedeutet.
Aber was ist eigentlich dieser Gewinn genau? Die Vorhersage des komparativen Kostenvorteils sagt nur, dass es Einkünfte durch sofortigen Konsum gibt. Der Freihandel führt hierbei zu sehr viel effizienteren Aufteilungen der globalen Produktion. Der Ertrag wird grundsätzlich maximiert und es sind mehr Güter verfügbar: mehr Nahrung, mehr Autos, mehr Computer, mehr Kleidung. Die Reallöhne steigen, folglich geht es den Ländern finanziell besser und der Lebensstandard steigt.
Aber im Falle des Freihandels sollte man nicht zu große Versprechungen machen. Beispielsweise sagt es wenig über das ökonomische Wachstum aus, denn im Laufe der Zeit steigt es ohnehin an, sondern konzentriert sich stattdessen auf die Güter, die heute verfügbar sind. Tatsächlich mag der Freihandel nicht immer die beste Richtlinie für einen langwierigen ökonomischen Aufschwung sein. Das soll jedoch nicht heißen, dass der freie Handel und das Wachstum niemals miteinander verbunden sind, sondern nur, dass dies nicht automatisch passiert.
Erträge für die einen, aber nicht für die anderen
Selbst wenn Gewinn durch Handel entsteht, kann es passieren, dass dieser nicht gleichwertig aufgeteilt wird. Sie könnten sich auf bestimmte Industrien konzentrieren (beispielsweise Autohersteller oder Nahrungsmittelproduzenten) oder kleinere Wirtschaftsbereiche (körperschaftliche Anteilseigner, bestimmte geographische Bereiche).
Die Vorteile des freien Handels sind an die Muster der Produktion anpassbar. Sie können sich in effizientere Formen wandeln und der freie Handel wird definitiv auch Verlust bedeuten. Manche Branchen und Akteure werden leiden, andere werden wachsen. Wir sollten nicht annehmen, dass der Freihandel allein dazu führt, dass zu guter Letzt jeder Einzelne wohlhabender sein wird als im Moment, zumindest wird dies nicht ohne eine gewisse Verlustkompensation geschehen.
Jenseits des Konsums
Zuletzt sollten wir nicht vergessen, dass dieses Handelsabkommen weitreichende Auswirkungen auf die Waren und den Konsum haben wird. Der Handel strebt an, dass sich die Länder effizient spezialisieren. Diese Muster haben auch Auswirkungen auf die Bereiche, die nicht so oft in den ökonomischen Analysen beachtet werden, wie beispielsweise die Umweltauswirkungen, die Arbeitsbedingungen, die Arten der Industrien, oder auch das Leben selbst, das die Menschen führen.
Wollen wir eine Tagebauindustrie? Wollen wir eine Kreativbranche? Wollen wir, dass die Menschen ihre Arbeit als wertvoll und bedeutend anerkennen, oder dass sie sich in Drogen flüchten, um die Arbeit zu überstehen? Wollen wir bestimmte Dinge lieber zu Hause produzieren, anstatt uns auf andere zu verlassen, die diese Dinge für uns herstellen?
Der Freihandel schert sich keinen Deut um die Arten der Unternehmen, die wir unterstützen wollen, um die Arbeit, die die Menschen machen wollen, oder um die Gesellschaft, die wir pflegen wollen. Er verspricht uns mehr Güter zum sofortigen Konsum und zwar jetzt sofort. Das ist alles.
Falsche Entscheidungen und freie Handel
Befürworter von TTIP sagen uns, dass wir uns entweder für wirtschaftliche Gewinne mit ein paar politischen Zankereien entscheiden, oder doch für eine Nation, die demokratisch unberührt bleibt, aber wirtschaftlich eindeutig schlimmer dasteht.
Dennoch sollten uns die eingeschränkten Erträge, die der Freihandel verspricht, deutlich weniger zuversichtlich stimmen, wenn es darum geht, wichtige soziale und politische Erwägungen auf dem Altar des Freihandels zu opfern. Selbst wenn TTIP den Freihandel mit sich bringt, heißt das noch lange nicht, dass es allen besser gehen wird, dass unsere Wirtschaft wachsen wird, oder dass wir die Art der Wirtschaft oder Gesellschaft haben werden, die wir gerne hätten.
Wir wählen nicht zwischen Profit oder Demokratie, wir wählen zwischen verschiedenen Zielen, und wir sollten genau hinschauen und ohne Phantastereien beobachten, was wir tun.
Das soll nicht enttäuschend sein. Zu guter Letzt sollten wir uns daran erinnern, dass wir die wirtschaftlichen Arrangements selbst bestimmen können und uns nicht passiv von den mechanischen Vorgängen auf dem Markt steuern lassen müssen.
TTIP verlangt, dass wir mitdenken und zwar tiefgreifend und kollektiv, und uns über die Wirtschaftsform und sozialen Errungenschaften klar werden müssen, die wir haben wollen – und dass wir von unserer Politik mehr fordern sollten, um uns sicher zu sein, dass wir am Ende die Wirtschaftspolitik bekommen, die wir wollen.
Der Artikel ist zuerst auf theconversation.com erschienen und unter CC BY-ND 4.0 lizensiert. Übersetzung von Anne Jerratsch.
Image (adapted) „Anti-TTIP Protest 11-10-2014 – 09“ by Garry Knight (CC BY 2.0)
Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: Europäische Union, Freihandel, kritik, politik, TTIP, USA, wirtschaft
1 comment