Julia Angwin hat Akten der Stasi untersucht und zeigt an verschiedenen Dokumenten auf, wie aussagekräftig bereits die wenigen durch Überwachung gewonnenen Informationen waren. // übersetzt von Janina Gera
Die Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) – kurz Stasi – hat Akten von mehr als einem Viertel der Bevölkerung der DDR gesammelt. Die Überwachung war tiefdringend, aber – im Vergleich zu heutigen Standards – technisch sehr primitiv. Als Julia Angwin für ihr Buch „Dragnet Nation“ recherchierte, hatte sie Zugriff auf ein handgezeichnetes Diagramm, das soziale Verknüpfungen anzeigt, und andere Dokumente des Berliner Stasi-Archivs. Falls man als deutscher Bürger von der Stasi überwacht wurde, kann man seine Akten dort einsehen; auch Medien haben Zugriff nachdem Namen der überwachten Personen in den Dokumenten geschwärzt wurden.
Warum ist das wichtig? Der historische Vergleich der technisch rückständigen Überwachung durch die Stasi mit der modernen Überwachung durch NSA und GCHQ zeigt, wie tiefgehend die heutige Überwachung sein muss, wenn schon das Ergebnis der Stasi extreme Ausmaße erreichte.
-
Auch die Stasi sammelte Metadaten und konstruierte soziale Netzwerke von überwachten Personen.
-
Trotz des Mangels an sammelbaren Daten und ineffizienten Methoden, bekam die Stasi aussagekräftige Daten.
-
Vergleicht man die Möglichkeiten der heutigen Geheimdienste, lässt sich das Ausmaß der Überwachung des Internets erahnen.
Die Grafik zeigt 46 Verbindungen, die eine Zielperson mit verschiedenen anderen Personen verlinkt – zum Beispiel mit „Tante“, „Operativer Vorgang Jentzsch“ (vermutlich Bernd Jentzsch, ein Dichter aus der DDR, der 1976 in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet ist), mit Orten („Kirche“), und Treffpunkten („bei der Post“, „beim Telefon“, „Treffen in Ungarn“).
Plumpe Überwachung
Gay Bruce ist Dozent für Geschichte an der Universität Waterloo und Autor von „The Firm: The Inside Story of the Stasi„. Er hat Angwin geholfen, das Diagramm und andere Dokumente zu verstehen und sie war überrascht, wie plump die Überwachung war. „Die vorrangig genutzten Überwachungstechnologien waren Post, Telefon und Informanten„, sagt Bruce.
Ein anderes Dokument zeigt einen simplen Überwachungsvorgang, ein so genannter IM-Vorgang (IM = Inoffizieller Mitarbeiter), bei welchem eine unbenannte Zielperson als Informant rekrutiert werden sollte. (Die Namen dieser Personen wurden geändert; die Namen der Stasi-Agenten und Informanten jedoch nicht). In diesem Fall hat die Stasi einen eher unbedeutenden Schüler beobachtet, der mit seiner Mutter und seiner Schwester in einem Reihenhaus wohnte. Die Stasi hatte ein Dokument vom Schulleiter des Schülers und von einem Verein, in dem er Mitglied war. Doch eigentlich hatten sie kaum Informationen. Julia Angwin meint, sie habe Facebook-Profile mit weitaus mehr Details gesehen.
Ein drittes Dokument zeigt die Operative Personenkontrolle (OPK) eines Mannes, der widerständige Poesie geschrieben hat. Die Stasi hat drei Informanten zu seiner Überwachung eingesetzt, aber nicht seine Post geöffnet oder Telefongespräche abgehört – bevor das passieren konnte, ist das System zusammen gebrochen.
Viel Aufwand für wenig Information
Angwin hat sich außerdem einen Überwachungsbericht angesehen, in dem Stasi-Agenten zwei Tage lang – am 28. und 29. September 1979 – die Bewegungen eines 40-jährigen Mannes aufgezeichnet haben. Sie haben ihn beobachtet, als er seine Wäsche abgegeben hat, sein Auto mit Tapeten beladen hat, ein Kind in dem Auto gefahren und dabei die Geschwindigkeitsbegrenzung eingehalten hat, getankt und die Tapeten in einer Wohnung abgeladen hat. Die Stasi ist dem Auto gefolgt, als eine Frau das Kind zurück nach Berlin gefahren hat.
Die zuständigen Agenten haben die Zielperson ab einem Freitag um 16:15 Uhr überwacht. Um 21:38 Uhr hat diese Person das Licht in seiner Wohnung ausgemacht. Der Agent ist die ganze Nacht dort geblieben und wurde um 7 Uhr am nächsten Morgen von einem Kollegen abgelöst. Dieser wiederum ist der Zielperson bis 22 Uhr an diesem Tag gefolgt. Das erscheint aus heutiger Sicht nach einer Menge Arbeit für sehr wenig Information.
Doch trotzdem erinnern die Stasi-Akten daran, was ein unterdrückendes System mit wenigen Informationen anfangen kann.
Das Beitrag ist geschrieben von Julia Angwin, erschien zuerst auf Propublica.org und steht unter Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Unported (CC BY-NC-ND 3.0). Der Artikel wurde übersetzt von Janina Gera.
Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: DDR, Metadaten, Stasi, Überwachung