Facebook ist ein Wunderwerk der Vernetzung und des Matchings. Technologisch ein Trendsetter und einfach zu bedienen: „Sie richten sich ein Profil ein, eine Seite bei Facebook. Das ist kostenlos, geht schnell und ganz einfach. Man braucht nichts von der Technik zu verstehen, ja nicht mal zu wissen, wie man eine einzige Zeile Code schreibt. Sie laden einfach ein Bild hoch, und das war’s“, erklärt Facebook-COO Sheryl Sandberg im Interview mit der Wirtschaftswoche.
Auf dem politischen Parkett benimmt sich der Zuckerberg-Konzern wie ein anarcho-kapitalistischer Elefant im Porzellanladen. Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer hat die Absurditäten von Facebook im Umgang mit Volksverhetzung, Rufmord, Morddrohungen, Holocaust-Leugnungen in den Kommentaren der User akribisch recherchiert. Etwa die Erlebnisse der Berliner Schauspielerin Jennifer Ulrich, die auf ihrer Facebook-Seite ein Video postete, das den fragwürdigen Umgang der Polizei mit Flüchtlingen im sächsischen Ort Clausnitz dokumentierte. Ihr Kommentar „Ich schäme mich grad so sehr Deutsche zu sein, wenn ich die Bilder aus Clausnitz sehe“ führte zu Morddrohungen und hasserfüllten Bemerkungen: „Man sollte eine Kettensäge nehmen und dir deine scheiß-hässliche Kackfresse einfach zerhäckseln“ und „Ulrich krepier unwertes Leben verrecke!!!“, schrieb ein Facebook-Nutzer unter dem Pseudonym Mario Weber:
Opfer-Kommentare werden gelöscht
„Zwei Tage nachdem Ulrich die Ankündigung, ihr Gesicht mit einer Kettensäge zu zerkleinern, an Facebook gemeldet hatte, erhielt sie die Antwort, man habe den Kommentar geprüft. Der Check habe ergeben, dass der Post ‚nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards’ verstoße. Es gab keine weitere Erklärung. Es war auch nicht ersichtlich, wer die Prüfung durchgeführt oder ihr nach Abschluss geantwortet hatte. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen verzichtet Facebook beim Kundenkontakt auf die Angabe von Namen. Es gab, wie Ulrich feststellte, nicht einmal eine Telefonnummer, unter der sie eine Nachfrage hätte hinterlassen können“, schreibt Fleischhauer. Weil Ulrich ziemlich stur sein könne, wenn sie sich ärgert, stellte sie die Antwort von Facebook auf ihre Seite, zusammen mit der Frage, „was dieser wahnsinnig freundliche, scheinbar rechtsgesinnte User mir hätte noch schreiben müssen, damit Facebook seine Kommentare als löschenswert empfindet.“
Diesmal reagierte der Zuckerberg-Konzern: „Ulrich erhielt von Facebook eine Mitteilung, dass ihr Beitrag entfernt worden sei, sie wurde ermahnt, sich mit den ‚Facebook-Gemeinschaftsstandards’ vertraut zu machen. Dann war ihre Seite gesperrt. ‚Dein Konto ist vorübergehend nicht verfügbar’, stand auf dem Bildschirm, als sie Freunden eine Nachricht schicken wollte“, führt Fleischhauer aus. Folgt man den Erklärungen des Facebook-Teams war die Löschung angeblich ein Irrtum.
Strafverfolgung im Irrgarten der unklaren Zuständigkeiten
Noch fragwürdiger wird das Verhalten der Plattform, wenn man juristisch gegen Hass-Kommentare vorgehen will. Was Strafverfolgungsbehörden erleben, gleicht einem Kampf gegen Wackelpudding, etwa bei der Ermittlung der IP-Adresse. Da werden Polizeibeamte gebeten, ihre Anfrage auf Englisch einzureichen auf einem Formular mit dem Titel „Law Enforcement Online Request“. Von einem anonymen „Law Enforcement Response Team“ erhält man dann die Nachricht, man danke für den Schriftverkehr: Weitere Auskünfte seien ab jetzt nur noch über ein internationales Rechtshilfeersuchen möglich: „Thank you and goodbye“ heißt die lapidare Antwort, um sich im Irrgarten der unklaren Zuständigkeiten zu verlaufen. Gleiches gilt für die von Facebook unterstützte Counter-Speech-Tournee mit der Wirkung von Brühwürfeln, wie der legendäre Streit zwischen Smudo und der deutschen Facebook-Lobbyistin Eva-Maria Kirschsieper belegt.
Die Strategie, die dahinter steckt ist klar: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass.“ Man will sich einfach nicht mit Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes befassen: Die Rechte zur freien Meinungsäußerung finden „ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
Um der Hass-Maschinerie Grenzen zu setzen, geht es also nicht um Zensur, sondern um die Möglichkeit, sich mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen die Hater auf Facebook zu wehren. Frei nach Kant: Jeder Mensch soll doch bitte so handeln, dass er ein allgemein gültiges Gesetz für alle Menschen daraus machen könnte. Einfach ausgedrückt: Was du nicht willst, das man dir tu, füg auch keinem anderen zu.
Einschreiben mit Rückschein
All das werde durch das Nichthandeln von Facebook unterminiert. So sieht es der Würzburger Rechtsanwalt Chan-jo Jun in einem Einschreiben mit Rückschein an Facebook-Chef Mark Zuckerberg mit der Betreffzeile: „Ihre strafrechtliche Verantwortung für Delikte der Volksverhetzung u.a. auf dem Portal facebook.com durch Förderungshandlungen“. Zu den Hasskomentaren führt Jun aus:
„Die Facebook Ireland Ltd. ist im Rahmen des Gesamtkonzerns Facebook Inc. Betreiberin des Portals ‚Facebook’ in Europa. Die streitgegenständlichen Beiträge und Kommentare wurden nicht durch Mitarbeiter des Facebook-Konzerns verfasst, allerdings wurden Sie von diesen nach Beanstandung geprüft, genehmigt und weiterverbreitet. Die Anwendung des deutschen Strafrechts für diese Teilnahmehandlung ergibt sich aus § 9 Abs. 2 StGB. Bei der Verbreitung von strafbaren Inhalten handelt es sich nicht um Einzelfälle, sondern tatsächlich um eine durchgängige und schon häufig kritisierte Unternehmenspolitik von Facebook Ireland Ltd. und Facebook Inc.“
Es sei nicht nachvollziehbar, dass trotz bestehender Infrastruktur für Prüfungen immer wieder offensichtlich strafbare Inhalte genehmigt werden. „Ihre Anwälte werden Sie darüber informieren, dass sich die Verantwortung des Content Providers beim Umgang mit geprüften rechtswidrigen Inhalten nicht darauf beschränkt, die rechtswidrigen Inhalte zu löschen. Es ist zusätzlich erforderlich, dass geeignete Maßnahmen getroffen werden, um gleichartige Verstöße in der Zukunft zu verhindern.“
Rechtliche Verantwortung bedeutet nicht Zensur
Facebook sollte nicht zum Sachwalter von erlaubten und verbotenen Inhalten gemacht werden, betont Jun im Interview mit Netzpiloten.de. Es geht auch nicht darum, der Plattform aufzubürden, ob Kommentare etwa den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Das Beispiel mit dem gelöschten Napalm-Mädchen-Foto zeige sehr deutlich, dass Facebook hierzu gar nicht in der Lage ist. Soll sich der Konzern deshalb aus allem raushalten oder auf gerichtliche Beschlüsse warten, die es gar nicht gibt? Sollen Mordaufrufe weiterhin im Netz bleiben? „Facebook muss in erster Instanz tätig werden. Aber das ist zu wenig. Man braucht eine weitere Instanz, sowohl für den Beschwerdeführer als auch für denjenigen, dessen Inhalt gelöscht werden sollen. Am Ende muss eine gerichtlich überprüfbare und transparente Entscheidung stehen, mit der sich Facebook für seine Prüfungsrichtlinien verantworten muss. Strittige Inhalte sollten zunächst nur gesperrt und nach einer endgültigen Entscheidung gelöscht werden“, fordert Jun.
Guter Vorschlag der Justizministerkonferenz
Eine mögliche Lösung hat die Justizministerkonferenz im Sommer in einem Beschluss formuliert: Es sei wichtig, die Nutzer, die sich wegen eines strafbaren Verhaltens verdächtig gemacht haben, möglichst zeitnah zu identifizieren, damit Ermittlungen gegen sie eingeleitet werden können.
Die Justizminister bitten den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz zu prüfen, „inwieweit Betreiber von Social-Media-Plattformen, Anbieter von Instant-Messaging-Diensten und Microblogger verpflichtet werden können, den Strafverfolgungsbehörden auf Verlangen die für die Strafverfolgung notwendigen Auskünfte über die Identität des Nutzers unmittelbar zu erteilen und strafbare Inhalte, insbesondere Äußerungen rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonst menschenverachtenden Charakters, vor ihrer Entfernung zu sichern.“
Novelle des Telemediengesetzes
Es solle ausgelotet werden, ob entsprechende Verpflichtungen in Anlehnung an das europarechtliche Marktortprinzip auch solchen Dienstanbietern auferlegt werden können, die im Inland nicht geschäftsansässig, wohl aber wirtschaftlich aktiv sind. Einen Anknüpfungspunkt bietet das Telemediengesetz im so genannten Providerprivileg: Diensteanbieter wie Facebook sind für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln nicht verantwortlich. Das gilt allerdings nicht, wenn der Diensteanbieter mit einem Nutzer seines Dienstes zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen. Dieser Passus könnte erweitert werden in Richtung Untätigkeit bei der Verhinderung von rechtswidrigen Handlungen. Auch der Vorschlag von Jan Fleischhauer wäre möglich: Jedes Internetunternehmen, das in Deutschland Geschäfte tätigt, muss einen Verantwortlichen mit Wohnsitz im Inland benennen, den man nach deutschen Recht haftbar machen kann. Nicht so ganz zutreffend ist die Bemerkung des Spiegel-Redakteurs, dass Heiko Maas lavieren würde, die Vorschläge – kein Gesetzentwurf – der Justizministerkonferenz ins Kabinett einzubringen, weil er die Netzgemeinde nicht gegen sich aufbringen will. Es gäbe weder einen Gesetzentwurf noch die Furcht vor der Netzgemeinde, so ein Sprecher des Bundesjustizministeriums.
Warum auch. Gegen den nötigen Rechtsfrieden auf Plattformen wie Facebook hätte wohl niemand etwas einzuwenden – außer die Volksverhetzer und Rassisten. Das Notiz-Amt sieht jetzt Maas in der Pflicht, gesetzliche Änderungen herbeizuführen und nicht seine Hoffnungen auf eine Call Center-Bude eines privatwirtschaftlichen Konzerns zu richten.
Image „Twitter“ by LoboStudioHamburg (CC0 Public Domain)
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Schlagwörter: facebook, Gesellschaft, Hasskommentare, Kommunikationssystem, Medien, Netzgemeinde, Netzpolitik, Providerprivileg, Prüfungsrichtlinien, Social Media, Technologie, Telemediengesetz
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Die Schwierigkeit besteht doch schon darin, dass man hier regelmäßig von „offensichtlich strafbaren Inhalten“ spricht. Zunächst einmal ist bei jeder Straftat von einer Mutmaßung auszugehen, und zwar solange, bis ein Gericht die Strafbarkeit abschließend und rechtskräftig festgestellt hat. An diesem Grundsatz kommt nun mal niemand vorbei, der behauptet, man lebe in einem Rechtsstaat. Dass ein Justizminister diese Nebelkerzen aus durchsichtigen politischen Motiven wirft, um sich als großer Hatespeech-Bekämpfer zu gerieren (indem er eine ehemalige Stasi-Mitarbeiterin an der Spitze einer privatwirtschaftlichen Zensurstiftung mit Millionen an Steuergeldern unterstützt) und ein Anwalt ihm dabei beispringt, heißt noch lange nicht, dass die Einschätzung „offensichtlich strafbarer Inhalte“ auch später gerichtsfest wird. Das gesamte Procedere wird schon deshalb fragwürdig, als derselbe Justizminister offenkundig bei linksextremen Straftaten („Robin-Hood-Gewalt, bei der die Opfer ja selber schuld sind“) eher blind zu sein scheint. Das heißt natürlich längst nicht, dass es keine Mordaufrufe oder sonstigen Gewaltandrohungen im Netz von links wie rechts gibt. Aber wenn der Staat so etwas wie eine Providerhaftung für „offensichtlich strafbare Inhalte“ durchsetzen will, muss sich nun mal zuallererst der Gesetzgeber entsprechend bewegen. Insoweit ist Gunnar Sohn zuzustimmen: Der Justizminister ist zunächst einmal selber in der Pflicht, aber nicht als Propagandastaatssekretär, sondern als verantwortlicher Minister, der seinen Justizapparat ja vielleicht auch einmal daraufhin überprüfen mag, ob dieser bei den „offensichtlichen strafbaren Inhalten“ nicht lieber wegen wiederholt behaupteter „Überlastung“ eher wegsieht, statt konsequente Verfolgung von Straftaten zu betreiben. Dazu gehört dann natürlich auch die Klarheit, dass dazu ermittelt werden muss, und die Polizei (Verantwortung: Der Innenminister, nicht der Justizminister) die entsprechenden Instrumente an die Hand bekommt. Wer aber als Politiker seit Jahren die Polizei als „Vertreter des Klassenfeindes“ betrachtet und daher auf allen Ebenen bekämpft, der braucht hinter nicht zu heucheln, er würde etwas gegen solche Kriminalität unternehmen. Daher: Reine Scheindebatte. Dem Unternehmen Facebook „eine durchgängige und schon häufig kritisierte Unternehmenspolitik“ zu unterstellen, halte ich für grundsätzlich falsch. Es ist eben nicht die Aufgabe einer solchen Plattform, zweifelhafte Inhalte, gewissermaßen straftatverhindernd – a priori vom Netz zu nehmen, auch nach entsprechenden Anzeigen nicht zwingend. Wenn das so wäre, dann müsste auch jedem Raser erst einmal das Auto von vorneherein weggenommen werden, er könnte ja rasen (und wer stellt das fest?).