Work… was? Wer nach „Workation” im Internet sucht, landet höchstens beim Slang-Lexikon. Denn der Begriff, zusammengezogen aus den englischen Wörtern „work” (Arbeit) und „vacation” (Urlaub), ist noch relativ neu. Gemeint ist damit eine Kombination aus Arbeit und Urlaub. Hier tauscht meist das gesamte Team den drögen Bürotisch gegen einen Laptop am Strand. Willkommen in der Arbeitswelt der Millennials!
Es ist nicht verwunderlich, dass gerade diese Generation das neue Arbeitskonzept erfunden hat. Millennials sorgen sich um ihre Work-Life-Balance wie keine andere Generation vor ihnen. Sie erwarten von ihrem Job viel mehr als nur eine finanzielle Stütze. Sie wollen sich durch ihre Arbeit selbst verwirklichen. Die Welt verändern und dabei auch noch Spaß haben. Dass das alles wirklich möglich ist, zeigt das Konzept der Workation.
Warum das Homeoffice nicht an den Strand verlegen?
Denn mit der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt, können immer mehr Aufgaben vom Computer aus online erledigt werden. Damit sind nicht nur Freelancer und digitale Nomaden gemeint, die grundsätzlich ihre Arbeit über das Internet erledigen. Auch in klassischen Unternehmen ist die ständige Anwesenheit am Arbeitsplatz kein Muss mehr. Meetings können per Videochat abgehalten, Briefings über E-Mail und Cloudtechnologien verteilt werden. Auch der Kundenservice läuft vielerorts auf Social-Media-Kanälen. Warum also nicht das Homeoffice noch einen Schritt weiter denken? Das Büro am Wohnzimmertisch oder im Nachbarscafé mit einem Coworking-Space in Thailand austauschen?
Was zunächst nach einer billigen Ausrede klingt, um vom Chef einen zweiten Jahresurlaub zu bekommen, hat in der Praxis viele Vorteile für das Team, die Kunden und das Unternehmen. Zum einen führt eine Workation das Team näher zusammen. Logisch: Wenn die Mitarbeiter nicht mehr um Punkt 17 Uhr getrennte Wege gehen, schweißt das zusammen. Vielmehr teilen sie sich beispielsweise während ihres Arbeitsurlaubs ein Zimmer oder navigieren gemeinsam durch eine fremde Stadt. Oder sie gehen nach Feierabend alle miteinander an der Strandbar chillen. Hierdurch entsteht ein ganz anderes Teamgefühl. Das Miteinander wird intensiver, man lernt sich intensiver kennen und – so die Theorie – arbeitet damit auch besser zusammen.
Studien belegen: Arbeiten in der Sonne macht Mitarbeiter produktiver
Darüber hinaus bietet ein neues Arbeitsumfeld auch völlig neue Inspiration. Das liegt eigentlich auf der Hand. Neues Land, neue Umgebung, neue Menschen, neue Kultur. All das regt die Kreativität auch im Arbeitsumfeld zwangsläufig an. Neue Ideen für den Job können da förmlich sprudeln. Unternehmen versprechen sich deshalb von einer Workation nicht nur besseren Teamgeist, sondern auch neue Impulse für das eigene Business. Nach einer Studie von Inc Magazine arbeiten Angestellte sogar produktiver, wenn das Arbeitsumfeld mehr Flexibilität zulässt.
Ein weiterer Pluspunkt ist das Networking. Denn die meisten Unternehmen wählen international beliebte Coworking-Spaces als Büros für ihre Workation. Hier hat das Team die Chance, neue Kontakte aus aller Welt zu knüpfen und so ein neues Netzwerk zu bilden, was vom heimischen Büro aus gar nicht möglich wäre.
Ach so, und da wäre auch noch der Faktor „Sonne”. Eine wissenschaftliche Untersuchung unter 444 Angestellten hat gezeigt, dass Sonne bei der Arbeit für glücklichere, entspanntere und ausgeglichenere Mitarbeiter sorgt.
Was, wenn nicht jeder zur Workation möchte?
Die Argumente klangen auch für Jenny so überzeugend, dass sie als Head of People & Culture beim Interior-Design-Startup 99chairs gemeinsam mit ihrem Kollegen Michael gleich eine Präsentation für das Unternehmen ausarbeitete. Tenor: Das Team von 99chairs sollte unbedingt während des grauen Berliner Winters seine Koffer packen und auf in die gemeinsame Workation starten. Gerade in einem Unternehmen, dass eine neue Art von Büro verkauft, bietet sich so ein Eigenexperiment schließlich an.
Einige Wochen später sitzt Jenny im Coworking-Space Greenpoint in Kapstadt. Sie kann während des WhatsApp-Gesprächs mit den Netzpiloten gar nicht aufhören, von der Sonne, dem Strand und der tollen Landschaft in Südafrika zu schwärmen. Einen Monat ist das Team schon hier, die Workation ist bis Ende Februar angesetzt. Sie glaubt, dass die Entscheidung zur Workation die richtige war. „Es gab natürlich auch viele kritische Fragen zur Workation-Idee. Zum Beispiel die Frage nach der Effizienz oder dem Kundenservice”, erzählt sie im Gespräch. „Es wollten auch nicht alle Kollegen mit. Manche wollten nicht die vollen zwei Monate aus Berlin weg.” Wenn man bedenkt, dass so manch einer möglicherweise die Familie zwei volle Monate allein zurücklassen müsste, ist das absolut nachvollziehbar.
Für all das hat das Team letztendlich Lösungen gefunden. Wer nicht mitwollte, hält derzeit im Berliner Büro die Stellung. Wem zwei Monate zu lang erschienen, konnte den Aufenthalt beliebig verkürzen. Wer lieber in einem Einzelzimmer wohnt, konnte dies tun, erklärt Jenny. „Es ist natürlich verständlich, dass am Anfang viele Fragen und auch Ängste da sind. Wir machen dies ja zum allerersten Mal. Wir fanden aber auch, dass die Workation eine tolle Chance für das Team sein könnte und haben deshalb gesagt, dass wir es lieber probieren wollen, statt aus Angst abzusagen.”
„Überrascht, wie produktiv wir arbeiten“
Insgesamt haben sich 25 von 60 Mitarbeiter dazu entschieden, nach Südafrika zu fliegen. Flug und Unterkunft mussten sie selbst bezahlen, den Coworking-Space zahlt das Unternehmen.
Bisher mit vorwiegend positiven Ergebnissen, sagt Jenny. „Wir waren sehr überrascht, wie produktiv wir arbeiten. Dadurch, dass wir hier nicht das typische Büroumfeld um uns und damit weniger Ablenkung haben, gehen wir ganz gezielt an die Arbeit und sind am Abend erstaunt, wie viel wir geschafft haben.” Sie findet ebenfalls, dass die Zusammenarbeit im Team sich stark gebessert hat.
Die Theorie zu den Vorteilen einer Workation scheint sich bei 99chairs also in der Praxis zu bestätigen. Was ist aber mit den zurückgebliebenen Mitarbeitern? Schmollen die im nasskalten Berlin, während es sich das halbe Team in der südafrikanischen Sonne gutgehen lässt? Genau das war anfangs auch die Befürchtung von Jenny. „Wir wollten am Anfang bei unseren Videokonferenzen gar nicht so viel von Kapstadt und all unseren Erlebnissen erzählen, um den heimischen Kollegen nicht vor den Kopf zu stoßen. Dann haben die Kollegen in Deutschland aber gemerkt, dass sie sich ausgeschlossen fühlten, und zu wenig von uns und unserer Zeit hier mitbekommen und sie gerne mehr an unserer Workation teilhaben möchten.”
Also hat das Team kurzerhand eine Officekamera im Coworking-Space in Kapstadt aufgestellt und so winkt man sich während des Arbeitstages über 13.000 Kilometer Entfernung virtuell zu und bleibt stets in Kontakt. „Wir haben einfach gemerkt, dass gerade auf die Distanz hin die visuelle Kommunikation extrem wichtig ist und wirklich sein muss.” So sind sie auch auf die etwas ungewöhnliche Idee eines Tele-Wine-Wednesdays gekommen. Nach Feierabend sitzten die Mitarbeiter im Berlin mit einem Glas Wein im Büro, während die Workationer in Kapstadt das gleiche tun – und so gemütlich beim Weinchen miteinander plauschen.
Wenn der Chef plötzlich eine Badehose trägt
So toll das alles klingt, so kommen einem doch auch Zweifel auf, ob das wirklich alles so hervorragend läuft, wie alle behaupten. Was ist, wenn der Kollege-Zimmergenosse einem tierisch auf den Keks geht? Auf Abstand gehen ist auf einer Workation schließlich nicht so gut möglich. Und wie ist das eigentlich mit dem Respekt, wenn der Chef plötzlich in der Badehose vor den Mitarbeitern steht? Jenny lacht: „Wir haben unsere Gründer schon öfter in Badehosen gesehen! Wir waren ja schon vor dieser Workation auf gemeinsamen Trips in Prag, Frankreich oder Spanien. Das ist also kein Problem. Uns sind ohnehin flache Hierarchien wichtig, sodass der gegenseitige Respekt nicht verloren geht, nur weil man gemeinsam Kajak fährt.”
Tatsächlich kamen die Zweifel an dem Sinn und Zweck der Workation für das 99chairs-Team aus einer ganz anderen Richtung. In Südafrika angekommen, wurde ihnen erst klar, dass im Land Wasserknappheit herrschte. Nun hatten sie also erst einen nicht gerade klimafreundlichen Flug hinter sich. Angekommen stellten sie nun auch noch fest, dass sie knappe Ressourcen verbrauchten. Kurzzeitig überlegte das Team sogar deswegen, die Workation wieder abzubrechen. Doch nach einiger Recherche beschlossen sie, aus der Not eine Tugend zu machen. Die Mitarbeiter bekamen Tipps zum Wassersparen. Das Team fand ebenfalls eine Webseite, mit der jeder, der wollte, für den Klimaschutz spenden konnte. Auch wenn sie Ausflüge machen, achten sie darauf, dass sie faire oder ökologisch verantwortliche Touranbieter wählen. Sicherlich sei das aber in Zukunft ein Aspekt, auf den man stärker achten werde, sagt Jenny.
Einige Fragen sind noch zu klären
Offen ist, ob es denn zu einer weiteren Workation bei 99chairs kommen sollte. Denn so viel Spaß das Team auch hat, sobald alle wieder zurück in Deutschland sind, soll ausgewertet werden, ob die Workation wirklich so positiv gelaufen ist, wie erwartet. Wurden die Kunden nicht vernachlässigt? Ist das Arbeitspensum gleich geblieben? Sind tatsächlich neue, kreative Impulse dazugekommen? „Das alles kann man natürlich jetzt noch nicht sagen”, gibt Jenny zu. „Wir sehen dies erstmal als Pilotprojekt an und schauen dann im Anschluss, ob und wie wir das wieder machen.”
Das ist auch der Grund, weshalb sie sich auch erstmal lieber auf die nahe Zukunft konzentriert. In den nächsten Tagen hat das Workation-Team schließlich viel vor. Wandern, Museumsbesuche, Restaurants ausprobieren, ein Besuch im Open-Air-Kino und ein Angus & Julia Stone Konzert stehen auf dem Programm.
Workation entwickelt sich zum eigenen Geschäftsfeld
Doie vielfältigen Aktivitäten haben die Mitarbeiter von 99chairs übrigens komplett selbst zusammengestellt – von der Buchung der Unterkunft bis hin zum Tagesausflug. Das ist die eine Möglichkeit, eine Workation zu organisieren. Das Konzept wird derzeit aber gerade in der jungen internationalen Startup-Szene so beliebt, dass es auch immer mehr professionelle Anbieter gibt, die spezielle Workation-Pakete für Freelancer und Unternehmen anbieten.
Surf Office mit Sitz in Lissabon und auf den Kanarischen Inseln kombiniert zum Beispiel das Urlaubsfeeling am Strand mit Coworking, Workation und – wie der Name schon sagt – Surfen. Nomad House wiederum legt den Fokus auf nicht nur sonniges und entspanntes, sondern vor allem auf konzentriertes und zielstrebiges Arbeiten für Startups. Das Workation-Angebot von Refuga möchte Unternehmen mit thematischen Programmen, wie Frauen-Workations oder einem Ökofarmprogramm in Italien anlocken.
Es haben sich auch schon einige Hotspots für Workations herausgebildet, die nicht überraschend auch einige der Lieblingsaufenthaltsorte von digitalen Nomaden sind. Dazu gehören Chiang Mai in Thailand, Medellín in Kolumbien sowie Ubud auf Bali oder auch Lissabon.
Noch ist dies sicherlich ein Nischenmarkt. Aber es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis auch größere Unternehmen die Vorteile des Konzepts erkennen und auf den Workation-Wagen aufspringen.
lily / stock.adobe.com
Images by 99chairs
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Schlagwörter: Arbeit, Arbeitskonzept, coworking, Coworking Spaces, digitalisierung, inspiration, kollegen, Mitarbeiter, networking, startup, team, unternehmen, urlaub, Workation
2 comments
Hey Marinela,
Das kann ich alles gut bestätigen :)
Ein Landhaus auf Mallorca für das Team mit einem nahegelegenen Coworking Space ist ebenfalls sehr erholsam (und gleichzeitig produktiv). Wer nur schwer aus beruflichen Verpflichtungen heraus kann, hat mit den Balearen die Chance auch für kurze Zeiten aufs Festland zu fliegen.
Herzliche Grüße aus der mallorquinischen Wintersonne mit Mandelblüten, reifen Zitronen und leuchtenden Orangenbäumen!
DoSchu
Hi Doris,
das klingt auch nach einem guten Ort zum Überwintern. Ich selbst bin ja auf eigene Faust auf Dauer-Workation, aber ich kann mir das auch durchaus produktiver vorstellen als viele glauben und auch eine gute Erfahrung für das Team selbst. Das einzige was ich mich immer frage: Geht man sich da nicht irgendwann auf die Nerven?