Videokolumne: Über politische Werbung, Foucault und Hunger

In der Videokolumne geht es heute um politische Werbespots von Chrysler, Ford und Erdo?ans AKP. Außerdem spricht der Philosoph Michel Foucault höchstselbst und drei Dokus beschäftigen sich mit dem Thema Hunger und Profit.// von Hannes Richter

Wahlspot AKP

Millionen geben die reichen Länder für Entwicklungshilfe aus. Doch wie effektiv sind Nahrungslieferungen in die ärmsten Regionen der Welt? arte beleuchtet das Problem mit drei Dokumentationen zum Thema Hunger und Profit. In einem lange unbekannten Fernsehinterview aus dem Jahr 1971 kann man Michel Foucault zuhören und viel lernen. Und Ford und Chrysler tragen den amerikanischen Kulturkampf auf die Fernsehschirme. Ford gewinnt.


WELTHUNGER: Wer profitiert vom Hunger?

AUS DER MEDIATHEK – arte +++ Sendungen vom 25. März:
Wie gehen wir mit dem Hunger in der Welt um? Und wie wird das Problem überhaupt erst (be-)greifbar? arte zeigt drei Filme, die sich mit dem Phänomen Unterernährung beschäftigen. Dass der Zuschauer auch nach der informativen Doku Hunger nicht viel schlauer ist, liegt am Thema. Denn so richtig begreifbar ist eben nicht, wie diese Welt funktionieren kann, wenn ein kleiner Teil im Überfluss lebt und in einem größeren Teil einfachste menschliche Bedürfnisse nicht erfüllt werden können. Dabei ist schon diese Fragestellung zu simpel, leben doch einerseits in den so genannten „Dritte Welt“-Ländern viele Menschen, die keinen Hunger leiden, nahezu überall gibt es auch eine mal kleinere, mal größere Mittelschicht, die sich nicht so leicht ins Klischee pressen lässt. Und andererseits wird Hunger auch in Europa immer mehr zu einem Problem. Ganz zu schweigen von der Lebenssituation vieler Menschen, die zwar nicht hungern, deren Alltag aber weit weniger rosig aussieht, als es sich viele Flüchtlinge aus Afrika wohl vorstellen. Aber ist das Leben einer Hartz-IV-Familie aus Hildesheim nicht in jedem Fall „besser“ als das einer Familie aus Kenia? Einfach ist es nicht, beim Thema Armut und Reichtum in der Welt, Klischees zu vermeiden und Probleme und vor allem Lösungen klar zu benennen. Denn die Probleme sind politisch und es geht vor allem immer auch um Geld. Mit der nährstoffreichen Erdnusspaste Plumbynut versorgt ein Unternehmen mit guten Kontakten zu multinationalen NGOs hungernde Kinder und schafft so einen Wachstumsmarkt Welthunger. Und die Welt des gefühligen Spendensammelns für die Dritte Welt mit den großen Augen hungernder Kinder auf Plakatwänden gerät ganz schön ins Wanken, wenn man den Wissenschaftlern und Aktivisten im Film Süßes Gift zuhört. Oder den Menschen, deren Lebensraum durch auf Export ausgerichteten industriellen Anbau von Baumwolle zerstört wurde. Die Dokumentation von Peter Heller hinterfragt die jahrzehntelange Entwicklungshilfe kritisch und erzählt eindrucksvoll und nah an den Menschen vor Ort von den Folgen dieser verheerenden Politik. Sicher, auch wenn sich die Maissäcke des Welternährungsprogramms der UN nach wie vor in staubigen Hallen stapeln, das reine Abwerfen von Lebensmittelhilfen aus Flugzeugen wird heute kaum noch praktiziert und ein Staudamm würde heute niemand mehr in ein funktionierendes Ökosystem stellen, doch bis zu einer Begegnung von Erster und Dritter Welt auf Augenhöhe ist es noch ein langer Weg.


FOCAULT FÜR ANFÄNGER: The Lost Interview

Diese Fernsehaufnahme sieht erstmal nicht nach etwas besonderem aus. Doch das Interview mit dem französischen Philosophen Michel Foucault in seiner Pariser Wohnung aus dem Jahr 1971 ist nie gesendet worden und wurde mehr als dreißig Jahre nicht beachtet, bevor es in der letzten Woche von einem englischen Wissenschaftler auf Youtube hochgeladen wurde. Spannend ist dabei nicht nur die Geschichte des fünfzehnminütigen Clips, die Lionel Claris im Text zum Video ausführlich erzählt, sondern auch, worüber Michel Foucault redet und wie der Fernsehbeitrag geschnitten ist. Das Gespräch führte der niederländische Philosoph Fons Elders in Vorbereitung auf eine berühmte Debatte zwischen Foucault und dem Sprachwissenschaftler Noam Chomsky über „die menschliche Natur“. Elders bemüht sich um eine Art Einführung zum Werk des französischen Begründers der Diskursanalyse und schon die ebenfalls erst vor kurzem veröffentlichte Abschrift des gesamten Interviews ist leichter zu verdauen, als so manches eigenständiges Werk des Meisters. In dem 15 Minuten langen Youtube-Video, unterbrochen von auf niederländisch vorgetragenen und nicht untertitelten biografischen Informationen zu Bildern aus dem Amsterdam der 70er Jahre, wird das ganze dann nochmal inhaltlich kondensiert. Wenn Michel Foucault also erklärt, wie sich die moderne Geistesgeschichte nur auf Basis der Ausgrenzung nicht konformer Menschen vollziehen konnte und als Beispiel das Wegsperren für verrückt erklärter Personen anbringt, dann wirkt das nicht wie schwer verdaulicher philosophischer Tobak, sondern wird durch Video und Schnitt zu einer gut nachvollziehbaren Einführung in das Denken eines der wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts.


AD-WAR MIT KLISCHEES: Ford, Cadillac und die zwei Amerikas

In diesem Werbespot findet sich jedes Klischee über den amerikanischen Way of Life. Ein offensichtlich reicher und erfolgreicher Businessman schwafelt über die Arbeitsmoral und warum diese in Amerika so viel besser ist. Dort würde man nämlich nicht den ganzen August lang Urlaub machen oder seine Tage in Cafés verbringen. Nein, dort arbeite man hart, schmiedet sein eigenes Glück und glaubt an die unbegrenzten Möglichkeiten, erklärt der schneidige Manager-Typ während er mit bestimmtem Schritt durch sein modernes Katalog-Haus schreitet bevor er am Ende seinen Cadillac von der Steckdose nimmt und losbraust. Sicher, der Spot ist eine Provokation. Geschickt werden die Klischees hier immer höher gestapelt, um am Ende mit einem anderen aufzuräumen, nämlich der Vorliebe wohlhabender Macker für spritfressende Luxuskarossen. Seht her: Arschloch kann man auch mit einem Elektro-Cadillac sein, denken die einen. Was für ’ne coole Socke, denkt wohl die Zielgruppe.
Konkurrenzautobauer Ford hat jetzt eine adäquate Antwort gefunden: Eine echte Umweltaktivistin, zufälliger- und passenderweise auch noch schwarz, erzählt in ähnlicher Pose davon, was es für sie bedeutet, Amerikanerin zu sein: bei ihr geht es um Verantwortung für die Umwelt und Nachhaltigkeit. Andere Länder sind für sie nicht Konkurrenten, denen man überlegen ist, sondern Vorbilder. Bilder und Aussage des Ford-Spots stehen dem vom Cadillac diametral entgegen, sie repräsentieren das ewige Narrative der zwei Amerikas. Wo der weiße Manager vor einem geleckten Swimming Pool steht, wendet die coole Aktivistin ihren Blick einer dreckigen Kloake zu. Denn mit Dreck erfüllt sie sich ihren amerikanischen Traum. Sie ist nämlich tatsächlich eine grüne Unternehmerin aus Detroit, die Abfälle von Restaurants und ähnlichen Einrichtungen einsammelt und kompostiert und die nahrhafte Erde dann Urban Gardens zur Verfügung stellt. So kommt die junge Frau viel sympathischer rüber, argumentativ steckt sie ihren Counterpart in die Tasche. Und wenn sie am Ende in ihren Elektroford steigt, steht der Gewinner des aktuellsten amerikanischen Ad-Wars fest.


GROTESKE PROPAGANDA: AKP-Spot zur Kommunalwahl in der Türkei

Ein anderer Werbespot. Und wieder kann es eigentlich nur Satire sein. Oder doch nicht? Nein, er meint das ernst. Die Partei des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdo?an, die konservative AKP, hat gerade erst auf beeindruckende Weise die Kommunalwahl gewonnen, trotz massiver Korruptionsvorwürfe und realer Beschneidungen der Meinungsfreiheit per Zensur und Youtube-Blockade. Die Strategie, mit der Erdo?an im Vorfeld für seine Selbstpositionierung als Retter der Nation warb, obwohl er bei dieser Wahl gar nicht auf den Stimmzetteln stand, wird in diesem schon absurd komischen Propagandamachwerk deutlich. An einem überdimensionalen Fahnenmast weht eine riesige (türkische?) Fahne. Ein wahlweise als Rowdy oder westlicher Businessman zu identifizierender Saboteur macht sich am Mast zu schaffen und die Flagge saust in den Abgrund. Der Schatten, den sie dabei über das ganze Land wirft, animiert tausende Türken, zu Hilfe zu eilen. Wie die Lemminge rennen sie zum Mast und lassen sich dabei auch nicht vom Bosporus aufhalten. Ein junger Mann steigt nun den riesigen Menschenberg, der sich am Mast gebildet hat hinauf und zieht die fallende Fahne wieder nach oben. Zum ganzen Schauspiel zitiert der Ministerpräsident in getragener Stimme die Nationalhymne.
Der Spot wurde eigentlich von einem Gericht verboten, denn in der Türkei darf nicht mit Nationalsymbolen Wahlkampf gemacht werden. Die türkische Fahne wurde daraufhin zwar leicht abgewandelt, die Nationalhymne wird immer noch zitiert. Und die AKP sendete den Spot weiter, ohne Konsequenzen.
In der Kommentar-Diskussion unter einem für VICE-verhältnisse recht klugen politischen Artikel des sonst eher schlüpfrigen Online-Magazins ärgert sich ein User zu Recht über die Assoziationen kopfschüttelnder deutscher Kommentatoren. Denn es stimmt schon: die zum Fahnenmast hineilenden, oft kopftuchtragenden Massen erinnern irgendwie an die Schlussverkauf-Bilder aus deutschen Fußgängerzonen. Das Problem sind hier aber weit weniger latent rassistische Assoziationsketten als vielmehr die Unverfrorenheit, mit der die AKP ihr Wahlvolk als gesichtlose Masse karikiert, die einer vermeintlich in Not geratenen Nation zur Hilfe eilen muss. Der Preis dafür macht sie wohl genauso gesichtlos wie die türkische oder deutsche Hausfrau auf dem beschwerlichen Weg zur Winterjacke für 9,99. Und schon bleibt einem das Lachen über diese Groteske im Hals stecken.


Teaser & Image by Screenshot, http://youtu.be/f_fAUNZfZ-s


wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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