Bei fremdsprachigen Filmen und Serien ist es gang und gäbe. Und auch bei hochwertigen Videospielen gehört es immer öfter zum guten Ton, die Original-Sprache durch prominente Stimmen auf deutsch zu übersetzen. Ebenso wie in einer Hollywood-Produktion befeuert professionelles Stimmhandwerk Emotionen und Atmosphäre. Doch wie verleiht man einem animierten Computerspiel-Helden Authentizität und Gefühl? Wir sprachen darüber mit Peter Flechtner. Als Feststimme von Ben Affleck gehört er zu den meistgebuchten Synchronschauspielern. Mit JD Fenix sprach er den Protagonisten in „Gears of War 4“ , einem Blockbuster für PC und Xbox, der anerkennende Kritiken für die Synchronisation verbucht hat.
Ein Videospiel, na toll. Das ist doch gar keine „echte“ Schauspielerei! Oder?
Im Gegenteil. Hier ist mehr Handwerk und Erfahrung gefragt als viele denken. Computerspiele zu sprechen ist wahnsinnig herausfordernd. Mehrere Stunden lang am Stück Schreianweisungen eines Soldaten einsprechen und zwischendurch glaubwürdig die Atmosphäre von Action auf Humor oder Enttäuschung zu wechseln – das geht auf die Stimme. Unerfahrene Sprecher haben da ihre Schwierigkeiten.
Werden deshalb gefühlt immer öfter prominente Synchronschauspieler für Videospiele gebucht?
Das liegt eher am Kino-Effekt, den hochwertige Videospiele erzeugen sollen. Die Produktionen sind inzwischen so „high-class“, dass Spielefiguren sehr realistisch aussehen. Je besser man sich den Charakter vorstellen kann, desto eher wollen und können sich die Leute mit ihm identifizieren. Weniger begabte Stimmen stören diesen Eindruck. Wiederum bekannte Stimmen kommen einem vertraut vor. Ich habe mir zur fertigen deutschen Fassung von Gears of War 4 ein „Let’s Play“ -Video angeschaut. Der Spieler erkannte meine Stimme, konnte sie aber nicht einordnen. Daraufhin haben rund 20 Kommentatoren diverse meiner Rollen aus Film und Serie aufgezählt. Jeder hatte einen anderen Ansatzpunkt. Dieser Wiedererkennungswert trägt auch dazu bei, dass sich Videospiele wie Kino anfühlen.
„Let’s Play“-Video: Welche Synchronstimme ist das?
Geht bei Videospielen – wie bei Filmen auch – mit dem Original-Ton nicht Authentizität verloren?
Eine 1:1-Übersetzung ist tatsächlich fast nie möglich. Einfach, weil deutsche Sätze oft länger sind als englische. Auch Akzente und Dialekte gehen verloren, weil es eher satirisch wirkt, wenn man eine Figur Bayerisch oder Österreichisch sprechen lässt. Dass in Deutschland die Synchronisation dennoch so beliebt ist, liegt daran, dass es als eine Kunstform behandelt wird, die ihren eigenen Beitrag leistet. Oft hat der deutsche Synchronsprecher ja eine andere Stimmfarbe und klingt fast besser als das US-Original. Arnold Schwarzenegger wäre ohne seine deutsche Stimme Thomas Danneberg möglicherweise hierzulande nicht so populär geworden. Genauso wie bei Filmen und Serien bildet sich auch bei Videospielen immer stärker eine Fan-Kultur für gute Synchronisation heraus.
Spiele wie Gears of War 4 stehen nicht für dialogintensive Szenen: Wie viel Storytelling können Sie durch einen Schmerzensschrei oder einen toughen Oneliner vermitteln?
Meine Aufgabe als Synchronschauspieler ist es, glaubwürdig zu sein. Dafür kommt es nicht auf die Textlänge an. „Ich bin verletzt“ kann ich unbetont und langweilig oder auch schmerzerfüllt und dramatisch sprechen. Ein Oneliner reicht, um im besten Fall ein Gefühl zu transportieren oder im schlechtesten Fall zu verraten, dass da jemand nur einen Satz abliest. Jede Rolle ist Schauspiel, unabhängig vom Medium. In Gears of War 4 hatte ich übrigens für ein Spiel relativ viele Zeilen, weil es etliche alternative Aktionen gibt, die die Figur JD Fenix kommentiert.
Wie haben Sie sich auf eine Figur wie JD Fenix vorbereitet? Sie sprechen viele markante Typen, aber keinen 80er-mäßigen, muskelbepackten Action-Helden.
Ben Afflecks Rolle als Batman oder die Figur Johnny Rico in Starship Troopers kommen dieser Rollenbeschreibung schon ziemlich nahe. Daher habe ich mit solchen Typen Erfahrung. Wichtig ist mir, dass ich die Figur nicht als stereotypen Helden spreche, sondern buchstäblich als Mensch. Da darf die Stimme auch mal soft klingen. Und um ehrlich zu sein: Die Produktionszyklen sind in der Branche so kurz, dass ich meist prima vista, also ohne nennenswerte Vorbereitung ins Studio gehe.
Erzählen Sie bitte von der Produktion von Gears of War 4. Wie lief das ab?
Aus schauspielerischer Sicht waren die Bedingungen vergleichsweise komfortabel. Es lagen bereits rund 20 Zwischenvideosequenzen vor, sodass ich mir ein Bild von der Figur JD Fenix machen konnte. Das war sehr hilfreich zum Reinkommen. Bei den meisten anderen Computerspielen gibt es nur ein Fact-Sheet und ein Render-Bild zur Figur. Dann höre ich die Original-Audiospur, lese die Übersetzung von einem Display ab und spreche sie in einem vorgegebenen Zeitfenster nach. Bei Gears of War 4 konnte ich für die Videos wenigstens lippensynchron aufs Bild sprechen. Dann sind Ton und Bild noch einen Tick mehr wie aus einem Guss. Ansonsten war die Arbeit im Studio bei weitem nicht so actionreich wie sich das im Spiel anhört. Ich folge zwar dem emotionalen Ausdruck des Originals, aber letztendlich stehe ich mit Kopfhörern vor einem Mikro.
Weitere Figuren aus Gears of War 4 sind ebenfalls prominent besetzt, etwa mit Oliver Stritzel (Stimme von Philip Seymour Hoffmann) und Maria Koschny (Stimme von Jennifer Lawrence). Waren die Kollegen inspirierend?
Ich denke, man hört es dem Spiel an, dass die beiden ebenfalls sehr profilierte Synchronschauspieler sind. Aber anders als im Theater oder vor der Kamera werden Synchronrollen separat eingesprochen. Insofern konnte ich nicht vom Team-Play profitieren. Das hat auch einen Vorteil. Auf diese Weise ist die Konzentration auf die eigene Figur einfacher.
Wie attraktiv ist der Markt der Videospiele für Synchronschauspieler?
Mein Eindruck ist, dass bei Computerspielen heutzutage mehr Wert auf gute Synchronisation gelegt, allerdings zum Teil weniger dafür bezahlt wird. Viele Spiele haben ein relativ schnelles Verfallsdatum und stehen unter Kostendruck. Die Honorar-Schere zwischen Haupt- und Nebenrollen ist zudem groß. Generell wird Synchronschauspielerei mehr wertgeschätzt als früher. Insofern ist das ein wachsender Arbeitsbereich, für den sich mehr und mehr Schauspieler interessieren. Allerdings ist die Synchronbranche nicht jedermanns Sache.
Ich kenne viele tolle Theaterschauspieler, die nicht mit der engen Taktung der Produktionen klarkommen. Für mich gibt aber nicht das Medium den Ausschlag. Mich reizt es auch, bei etwas Kultigem dabei zu sein. So gesehen habe ich mich über eine Rolle in der „Gears of War“-Reihe ebenso gefreut wie über eine in dem „Star Wars“-Ableger „Rogue One“.
Spielen Sie die Spiele, die sie sprechen, auch privat mal an?
Das beschränkt sich darauf, Videoausschnitte im Internet zu googlen oder meinem Neffen ab und an über die Schulter zu schauen und mich darüber zu freuen, wenn er sagt: „Oh, ich höre dich!“. Meistens widme ich meine Freizeit meiner Liebsten und den Kindern.
Über Peter Flechtner
Schauspieler Peter Flechtner (54) trat bereits in großen Hollywood-Produktion wie „Wie ein Licht in dunkler Nacht“ (1992) und „Schindlers Liste“ (1993) vor die Kamera. Bekannter als sein Gesicht ist jedoch seine Stimme. Mit über 2.650 Synchronsprechrollen in diversen Medien gehört er zu einem der profiliertesten Vertretern seiner Zunft. Unter anderem synchronisiert er Ben Affleck, William Fichtner und David Harbour. Serienfans kennen seine Stimme von Hauptrollen in Lost, Prison Break, Gotham, House of Cards und Modern Family. Gears of War 4 ist nicht Peter Flechtners erste Videospiel-Produktion. Zuvor war er unter anderem in Far Cry 4, Call of Duty: Black Ops III und Halo 5: Guardians zu hören.
Mehr über Peter Flechtner findet ihr bei Wikipedia und in der Synchronkartei.
Image (adpapted) „Gears-of-War-4-Marcus-JD-Fenix-Netzpiloten“ by Microsoft
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Schlagwörter: Authentizität, Gears of War 4, Interview, JD Fenix, peter flechtner, storytelling, synchronisation, videospiele