Vom Buch zum Byte – die Geschichte der E-Books

Es war ein weiter Weg vom Buch zum Byte, doch die heutigen E-Books sind noch nicht das Ende. Die dritte Phase der E-Book-Evolution beginnt bereits. // von Ansgar Warner

Kindle (Bild: mobilyazilar [CC BY 2.0], via Flickr)

Am heutigen Mittwoch lädt das Internet & Gesellschaft Co:llaboratory und die Staatsbibliothek zu Berlin zu einem Autorengespräch mit Ansgar Warner über die Zukunft des elektronischen Lesens ein. Ansgar Warner ist promovierter Literatur- und Kulturwissenschaftler und arbeitet als freier Autor im Medienbüro Mitte (Berlin). In seinem Werk “Vom Buch zum Byte”, aus dem er lesen wird, erzählt er die spannende Geschichte der elektronischen Bücher – von den Anfängen bis in die Gegenwart. Für Netzpiloten.de gibt Ansgar Warner schon einen kleinen Einblick in die Geschichte der E-Books.

Unabhängig vom Papier

Das elektronische Lesen hat nicht erst mit dem Kindle begonnen. Vieles von dem, was E-Books heute ausmacht, wurde schon in den 1960er und 1970er Jahren ausprobiert, manches bleibt bis heute Utopie. Project Gutenberg-Gründer Michael Hart erkannte schon vor mehr als vierzig Jahren: der Computer ist ein perfektor Replikator für E-Texte. Am 4. Juli 1971, also dem Unabhängigkeitstag, tippte der damalige Mathematik-Student den Text der „Declaration of Independence“ von 1776 in das Terminal eines Mainframe-Rechners der Universität von Illinois. Das war zugleich eine Unabhängigkeitserklärung für das E-Book: „Wir halten den elektronischen Text für ein neues Medium, unabhängig vom Papier„, formulierte Hart rückblickend.

Das hatte auch mit den neuen Vertriebsformen zu tun. Die Computer im Materials Research Lab der University of Illinois waren Teil des Internet-Vorgängers ARPANET. Theoretisch hätte Hart den ersten E-Text per E-Mail-Attachment an seine Kollegen verschicken können. Doch mit fünf Kilobyte war die Datei so groß, das eine Überlastung des Netzwerks drohte. So teilte er lediglich die Download-Adresse mit. Tatsächlich wurde das erste E-Book dann von sechs Personen heruntergeladen – für damalige Verhältnisse fast schon ein virales Ereignis.

Die Zukunft hat bereits begonnen

Die damit zusammenhängenden Fragen wurden bis heute nicht endgültig beantwortet: Sind E-Books überhaupt Waren, oder eher eine überall verfügbare Ressource wie Leitungswasser? Was bedeutet der Übergang in die Netz-Ökonomie für die Entwicklungspotentiale des Buchmarkts? Brauchen wir noch Buchhandlungen? Warum geben wir Geld für riesige Bibliotheksneubauten aus, obwohl E-Books keinen Regalplatz brauchen? Wer wissen möchte, wie die Zukunft des Lesens aussehen könnte, findet viele mögliche Antworten bei einem Blick zurück auf die (gar nicht so) kurze Geschichte der elektronischen Bücher, wie ich ihn in “Von Buch zum Byte. Kurze Geschichte des E-Books” gewagt habe. Für mich war dieses Buch-Projekt von Anfang an auch ein sehr praktisches Experiment mit den Möglichkeiten elektronischen Publizierens – von einer kostenlosen HTML-Version über E-Book-Direktvertrieb auf einer eigenen Website und der Distribution auf Buchhandels-Portalen bis hin zu Print-On-Demand. Am 23. Oktober kommt nun noch eine besonders klassische Variante dazu – in Zusammenarbeit mit der Staatsbibliothek zu Berlin und Internet & Gesellschaft Co:llaboratory findet eine Lesung mit Autorengespräch & Diskussion statt, inklusive Büchertisch.

Der Weg vom Buch zum Byte begann genau genommen schon ein paar Jahre vor Michael Hart. Deswegen startet „Vom Buch zum Byte“ bereits im Jahr 1945, als der amerikanische Ingenieur Vannevar Bush seinen berühmten Essay “As we may think” veröffentlicht hat. Darin wird eine universale Wissensmaschine namens “Memex” beschrieben – nicht nur ein Archetyp des Personal Computers, sondern durch die Idee der Verlinkung von Informationen auch der heilige Gral der Hypertext-Historiker. Auf Memex folgt eine Stippvisite in den Sechzigern bei Marshall McLuhan und den zeitgenössischen Bedrohungszenarien der “Gutenberg-Galaxis” – in deren Zentrum damals nicht Buchstaben auf Bildschirmen standen, sondern Bewegtbilder, sprich das Fernsehen. Kluge Köpfe wie etwa Hans-Magnus Enzensberger ahnten dagegen schon damals: das Buch sollte als „Spezialfall“ noch eine ganze Weile eine merkwürdige Koexistenz mit den modernen elektronischen Medien führen, zumindest als Endprodukt.

Auf dem Röhrenbildschirm wurde in der Folgezeit jedoch nicht nur gesetzt und gelayoutet, hier fanden auch die E-Lese-Experimente der Siebziger und Achtziger Jahre statt, von Videotext und Text-Adventures auf Commodores VC 20 bis hin zu CD-Rom-Enzyklopädien und Hyperfiction. Mit den Personal Digital Assistants (PDAs) standen seit den Neunziger Jahren dann erstmals Mobilgeräte zur E-Book-Lektüre zur Verfügung, bald gefolgt vom Handy-Roman, der die kleinen Displays der „Feature Phones“ nutzte. Frühe „dedizierte“ E-Reader wie etwa das Rocket eBook pflegten dagegen ein Schattendasein – erst mit der Marktreife von E-Ink-Displays verbesserte sich die Performance. Trotzdem nutzten prominente Autoren wie Stephen King bereits um die Jahrtausendwende das Internet, um punktuell erfolgreich mit E-Books und Self-Publishing zu experimentieren. Den endgültigen Durchbruch schaffte das elektronische Lesen aber erst, als es Amazon gelang, mit dem drahtlos funkenden Kindle-Reader ab 2007 den „iPod für E-Books“ massenhaft zu vermarkten.

Bücher werden nicht mehr besitzt, sondern gelesen

Tatsächlich wurde mit dem Kindle das Lesen nicht nur mobil, sondern eben auch vernetzt. Erstaunt nahmen Gadget-Kritiker & Tech-Journalisten zur Kenntnis: Literatur bekam den „always-on“-Status. Um überhaupt Akzeptanz für E-Books zu schaffen, versuchte man zugleich, möglichst viele Aspekte klassischer Print-Bücher zu simulieren, vom elektronischen Papier über den „Verkauf“ (eigentlich der Erwerb von Leselizenzen) zu buchähnlichen Preisen bis hin zur künstlichen Verknappung durch Digital Rights Management. In dieser Phase befinden wir uns auch heute noch, wenn man so will, Phase zwei nach den ersten E-Book-Experimenten fern vom Massenmarkt wie auch der Digitalisierung von Buchdruck und Vertrieb.

Allerdings ist auch schon die dritte Phase der E-Book-Evolution absehbar. Bereits heute werden 50 Prozent aller E-Books gar nicht en detail verkauft, sondern ausgeliehen (Onleihe), via Flatrate gemietet (Skoobe etc.) oder kostenlos heruntergeladen (Public Domain, Gratis-Marketing, etc). Michael Hart, dem leider schon 2011 verstorbenen „Vater“ des E-Books, würde dieser Trend sicherlich gefallen – im Mission Statement des Project Gutenberg heißt es nicht zufällig: „Wir wollen den Menschen so viele E-Books wie möglich geben„.


Die Lesung beginnt um 18 Uhr in der Staatsbibliothek zu Berlin (Haus Potsdamer Straße, Dietrich Bonhoeffer-Saal). Der Eintritt ist kostenlos.


Teaser & Image by mobilyazilar (CC BY 2.0)

arbeitet als freier Autor im Medienbüro Mitte (Berlin). Neben diversen Brotarbeiten für Presse & Rundfunk bloggt er auf E-Book-News.de rund um das Thema Elektronisches Lesen. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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