Kundenkontakt im Netz

Vor einigen Jahren machte sich Jeff Jarvis mit seinem Lob an Google unbeliebt. Recht hatte er trotzdem. Medienprofessor Jeff Jarvis blickt im Interview mit dem renommierten „Internet-Magazin“ auf die Empfehlungen zurück, die er 2009 in seinem Bestseller „What would Google do?“ zu Papier gebracht hat. Seine Vorschläge, was Unternehmen vom Suchmaschinen-Konzern lernen könnten, sind im Kern richtig, aber bislang nur in Ansätzen mit Leben gefüllt worden. Er bringt, wie viele andere Netzexperten, die Fluggesellschaft KLM ins Spiel. Sie habe das Potenzial, sich zu einer Social Airline zu wandeln. Dort könne man seinen Sitznachbarn via Facebook beeinflussen. Das sei zwar nicht die beste Methode, aber ein Versuch: Größere Veränderungen in der Wirtschaft würden eben nicht freiwillig stattfinden.

Warum sich Firmen nicht zu offenen Plattformen entwickeln und sich stärker mit Menschen über das Internet vernetzen, liege wohl an der Angst der Führungskräfte. Stattdessen gebärden sich Unternehmen als Content-Produzenten und pflastern das Social Web mit Werbebotschaften zu. Einweg-Berieselung als alter Wein in neuen Schläuchen. Man meidet im Netz die direkte Berührung mit dem Kunden – Entscheider fürchten den Shitstorm.

Der Kunde in Gefangenschaft

„Dein schlimmster Kunde ist dein bester Freund“, erwidert Jarvis gegenüber dem „Internet-Magazin“. „Wenn jemand eine Sache so wichtig ist, dass er sich beschwert, will er dem Unternehmen eigentlich sagen: ‚Ich will Dich lieben. Und ich würde Dich lieben, wenn Du nur das hier tätest.‘ Unternehmen, die uns für Gefangene halten – wie Telefon- oder Kabelkonzerne –, können nicht gewinnen.“

Das mit der Liebe darf man nicht so wörtlich nehmen – Jarvis neigt zu Übertreibungen. Aber sein Rat, sich in der Netzöffentlichkeit von Konsumenten helfen zu lassen, ist nachvollziehbar. Alle Mitarbeiter eines Unternehmens haben das Potenzial zum Verkäufer.

Warum sollten sie also nicht online mit der Öffentlichkeit reden, fragt sich Jarvis. Warum werden Kundenanfragen immer noch in die Anonymität einer Hotline gedrängt? Warum macht man es nicht wie die Elektronikmarkt-Kette Bestbuy, wo alle 3.000 Mitarbeiter Zugang zum Twitter-Account @twelpforce haben? Jeder Kunde könne dort Fragen stellen, und mehr oder weniger in Sekunden gibt es eine Antwort, bemerkt Jarvis. Es geht um Konversation, nicht um Marketingbotschaften und Hotline-Blödigkeit.

Was Google noch lernen kann

Es geht um das Wissenspotenzial einer gesamten Unternehmensorganisation, um bessere Dienste und Produkte auf die Beine zu stellen. Es geht um Netzwerkeffekte, um teure Wiederholungsschleifen beim Kundenservice zu vermeiden. Es geht um die Erfahrungen von Kunden, die Produkte oder Dienste einer Firma teilweise besser kennen als die Belegschaft. Einen wichtigen Punkt spricht Jarvis allerdings nicht an: Warum hält sich Google selbst nicht an die Empfehlungen, die der Medienprofessor in seinem Opus festgehalten hat?

Google hatte frühzeitig den Instinkt, Plattformen und Netzwerke zu schaffen, statt Inhalte zu kaufen oder zu produzieren – das gilt aber nur für die Technologie. Die Unternehmenskultur nach außen sieht anders aus, wie man am Umgang mit der YouTube-Szene erkennen kann. Auch die rüde AGB-Politik von Google spricht eine andere Sprache. Deshalb ist es vielleicht auch ein Irrweg, die Geschäftsmethoden des Mountain-View-Konzerns zu kopieren.

Intelligente und dezentrale Netze schaffen

Unendlich viel wichtiger als die nächste stirnfaltige Beschwerde über die liebwertesten Gichtlinge von Google & Co. wäre es, über die Schaffung eines wirklich intelligenten und dezentralen Netzes nachzudenken, fordert der Systemingenieur Bernd Stahl vom Netzwerkspezialisten Nash Technologies in Stuttgart. Das nötige Geistkapital sei in der deutschen Forschungslandschaft vorhanden, um Google nicht hinterherlaufen zu müssen.

Mein Traum ist ein sogenannter Social Media Dial Tone. Darüber ist noch nicht viel gesprochen worden. Einen Dial Tone kennt jeder von uns aus dem Telefon – es geht um den Wähl-Ton. Er garantiert den ständigen Zugriff auf Dienste, unabhängig vom Operator und vom Aufenthaltsort meines Kommunikationspartners sowie ohne Ausfälle, die bei Skype, Twitter, Facebook oder Apps an der Tagesordnung sind. Beim Social Media Dial Tone stürzt nichts ab. Keine Mehrfachkonten. Keine separaten Social-Media-Inseln. Ein Access. Ein View. In alle Netze. Semantisch angereichert. Sozusagen unter einer Haube. Wieso muss der Entwickler-Wildwuchs dem Internet-Nutzer eins zu eins zugemutet werden? Es geht darum, aus sozialen Netzwerken echte Services zu generieren: vernetzt, hochverfügbar, flexibel und unabhängig vom Endgerät“,

erläutert Stahl. Gleiches gelte für die Vernetzung von Cloud-Diensten, die bislang nur als Silos angeboten werden.

Manifeste gegen digitalen Feudalismus schreiben

Social, Offenheit und Vernetzung sind wichtig. Auch neue Arten des Produzierens in der Cloud und mit der Crowd. Sie haben nur nichts mit den Konzerninteressen von Google oder Facebook zu tun. Deshalb sollte man mehr vorausschauen statt vorhersagen, fordern Dietmar Dath und Swantje Karich in ihrem Buch „Lichtmächte“ (diaphanes Verlag). Also mehr über die Möglichkeiten der Selbstbestimmung streiten und gesellschaftliche Voraussetzungen schaffen, um nicht als informationelle Leibeigene auf der Strecke zu bleiben.

Dath und Karich vergleichen das mit der bürgerlichen Emanzipationsbewegung, die die Stände- und Traditionsgesellschaft überwand. Sie hatten Bilder von sich selbst, von ihrer Selbsterschaffung und Selbstregulierung. Gleiches sei heute vonnöten – im Film, im Netz, in den Künsten, um nicht im digitalen Feudalismus der Silicon-Valley-Giganten zu landen.

Schreiben wir mehr Manifeste.


Dieser Artikel erschien zuerst bei The European


Image (adapted) „Google Logo in Building43“ by Robert Scoble (CC BY 2.0)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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