In einer Artikelserie untersucht die Kommunikationsberaterin Nina Galla die Wahlprogramme der Parteien auf Auswirkungen für die digitale Kreativwirtschaft. Im zweiten Teil blickt sie ins Wahlprogramm der SPD.
Während dieses desaströs geführten Wahlkampfs der SPD bleibt eines meist im Hintergrund: Das eigentliche Programm. Dabei bereitet es nach der Lektüre des Wahlprogramms von CDU/CSU dem linksorientierten Wähler durchaus Freude und bietet eine echte Alternative.
- Abseits des Pannenwahlkampfs der SPD stellt das Programm eine echte Alternative zur Union dar.
- Vergangene Wortbrüche haben dem Image der als Verräterpartei abgeschriebenen SPD geschadet.
- Eine scheinbar unkritische Medienbranche, vor allem in Hamburg, wird wohl trotzdem die SPD wählen.
Ob die auseinandergehende soziale Schere, die Reaktivierung des Sozialstaats bei den Themen Gesundheit und Pflege, steigende Arbeitslosigkeit oder Angst vor Armut im Alter, Politik für das Allgemeinwohl anstatt für wirtschaftliche Interessen, Korrektur der Agenda 2010, Finanztransaktionssteuer und gesetzlicher Mindestlohn, Investitionen in Bildung, Kommunen, Forschung und Entwicklung – die SPD hat alle Probleme und Ängste unserer Wirtschaft und Gesellschaft thematisiert (bis hin zur Reduzierung der Bankautomaten-gebühren). Das Programm nutzt die Chance mit dem Ziel, mehr Solidarität und Gerechtigkeit durch Gemeinschaft in den Mittelpunkt zu rücken, ohne die staatliche Pflicht zu vernachlässigen. Es scheint, als erobert sich die SPD ihre Sozialdemokratie zurück.
Einzig die Wiederholung einzelner Elemente lässt den faden Beigeschmack zurück, dass hier und da das Programm etwas aufgeblasen wird. Oft gibt es recht ausführliche Einleitungen als textliches Schmuckwerk, das die Kürze des eigentlichen Programmpunkts überwuchert wie hübsches Efeu eine marode Hauswand.
Ein digitaler Wirtschaftstraum
Selbstverständlich kommen auch Internet und Medienwirtschaft nicht zu kurz: Auch bei den Sozialdemokraten liegt ein Schwerpunkt auf der Mittelstandsförderung, der Software-Industrie wird großes Potenzial bescheinigt, die IT wird generell nicht als Insel-Technologie behandelt, sondern wahrgenommen als Querschnittstthema. Kreative, Selbstständige und Gründer sollen gefördert werden.
Als soziale Programmpunkte sollen es eine Anti-Stress-Verordnung im Arbeitsschutzrecht geben (gerade für Arbeitnehmer im Mediensegment ist das oft ein Problem), in der geplanten Bürgerversicherung, mit der alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrem Einkommen, ihrer Lebenslage oder ihrem Erwerbsstatus eine gute Kranken- und Pflegeversicherung bekommen sollen, können auch Freiberufler mit wechselnden Einkünften Unterschlupf finden, außerdem sollen Selbstständige auch ohne eine eigene Altersversorgung in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden.
Die Förderung des deutschen Films wird genauso berücksichtigt wie die Digitalisierung verwaister Werke und Open Access. Der Absatz zur obligatorisch geforderten Reform des Urheberrechts-gesetzes geht einen kleinen Schritt weiter als das der Union und erwähnt immerhin die Erprobung neuer Geschäftsmodelle durch alternative Lizenzierung und die Begrenzung des Streitwerts bei privaten Urheberrechtsverletzungen. Das ist schon ganz gut. Und hat noch Luft nach oben.
Außerdem: Flächendeckend schnelles Internet, neue mobile und internetbasierte Arbeitsformen, Stärkung der Künstlersozialkasse, Stärkung der Bürgerrechte durch Datenschutz in Deutschland und Europa, gesetzliche Verankerung der Netzneutralität, Änderung der WLAN-Betreiberhaftung, der sogenannten „Störerhaftung“, Open Data, Laptops für Schüler, und und und. Fast alles, was man so hören will.
Alles wird also super mit der SPD? Wer weiß das schon.
Die Spitze der Partei will ihren wiederentdeckten Markenkern nicht so recht glaubwürdig vertreten. Steinbrück wirkt als Sprecher für die soziale Gerechtigkeit wie eine Marionette seiner Berater und der Partei. Das mit den Menschen, das ist einfach nicht sein Ding. Klar, dass auch beim Wähler mit Kurzzeitgedächtnis Zweifel aufkommen, ob die Sozen nicht etwa alles sagen, was der Bürger hören will, nur um Stimmen zu fangen.
Bürger, die auch außerhalb des Wahlkampfs am politischen Ball bleiben, wissen hingegen genau, dass der SPD nicht unbedingt zu trauen ist. Die Sozialdemokraten haben ihre Glaubwürdigkeit bereits durch Wortbruch bei Koalitionen und Steuererhöhung sowie die Agenda 2010 nachhaltig beschädigt. Jüngste Entscheidungen für die Bestandsdatenauskunft und das Nicht-Verhindern des Leistungsschutzrechts für Presseverlage führten die traditionelle Unzuverlässigkeit fort.
Vor allem beim Thema Überwachung versagt die SPD in diesen Tagen komplett: wahlkampftosend die Regierung zu Prism und Tempora angreifen, selber mit drin stecken und sich nur halbstark rausreden können und dann nicht mal eine klare Haltung gegen die Vorratsdatenspeicherung haben – hier passt nichts zum anderen, außer dass das Abstimmungsverhalten der letzten Jahre eher pro Überwachung verlaufen ist als dagegen. Ein belastbares Profil der SPD zum Thema Datenschutz ist schlicht nicht vorhanden.
Und das ist die Tragik der SPD: Sie hat durchaus das Potenzial und das Programm, zum richtigen Zeitpunkt eine richtige Alternative zur schwarz-gelben Regierung zu stellen. Nur glaubt es ihr niemand. (Tags: #verraten #sozialdemokraten)
Hamburgs unkritische Medienszene
In meinem medialen Umfeld in Hamburg scheint es kein Bewusstsein der gespaltenen sozialdemokratischen Zunge zu geben. Man möge mir widersprechen, doch ich habe seit geraumer Zeit den Eindruck, dass man die SPD schon ganz ok findet, obwohl man selber eigentlich gar nicht so politisch ist. Ich vermute: Gerade wie man selber nicht so politisch ist. Bei aller Kritik verstehe ich diese leicht gemachte Zuneigung jedoch sehr gut: Denn die SPD ist die einzige Partei, die in der Hansestadt regelmäßig Präsenz und Nähe zur Medienwirtschaft zeigt. Hinzu kommen lokalprominente Fürsprecher und Unterstützer – fertig ist der sozialdemokratische Sympathisant. Mein Tipp an alle, die mit dem Gedanken an ein Kreuzchen bei der SPD spielen: Achtet auf die genaue Wortwahl! Formulierungen wie „könnte eine Möglichkeit sein“ ist keine Entscheidung, ein „dieses muss abgelehnt werden“ heißt, dass es anders durchaus denkbar ist.
Nächsten Mittwoch untersucht Nina Galla das Bundestagswahlprogramm der Grünen.
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Schlagwörter: BTW13, Bundestagswahl, Medienpolitik, Netzpolitik, SPD, wahlprogramme
4 comments
Mit einer „Finanztransaktionssteuer“ ist gar nichts gewonnen, solange die halbwegs zivilisierte Menschheit unfähig bleibt, etwas im Grunde so Einfaches wie das Geld zu verstehen. Nicht das Umschichten von Liquidität muss besteuert werden, sondern das Halten von Liquidität! Dann darf jeder nach Belieben weiterspekulieren; es wird aber niemand mehr tun, weil es sich nicht mehr lohnt. Aber das versteht man natürlich erst dann, wenn man weiß, was Geld überhaupt ist:
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/01/geldtheorie.html