Warum Fernsehen?

Gastbeitrag von MSPro

Jetzt sitze ich hier im Café, das Notebook auf dem Schoß, ganz klischeehaft, und mache mir Gedanken über das Fernsehen. Das Fernsehen! Ausgerechnet ich, der ich das Fernsehen seit nunmehr 6 Jahren verschmähe. Vielleicht sollte ich über seinen Tod schreiben? Nur allzu deutlich steht er ihm ins Gesicht geschrieben. Längst ist die lange beschworene Quote nicht mehr das allentscheidende Kriterium für den Fortbestand für Sendungen, sondern alleine die Rendite steht im Mittelpunkt der Medienplaner. Dementsprechend ausgezehrt ist das Programm. Wirklich. Ich bin froh, kein Fernsehen mehr zu gucken.

— Geschichten, die dem Leben zu peinlich wären

Gerade habe ich einen Milchkaffee bestellt, und während im Hintergrund der Milchaufschäumer sprudelt, fällt mir Oliver Kalkofe ein. Er bezeichnete Fernsehkonsum in seiner denkwürdigen Keynote unlängst als „gemordete Lebenszeit“. So habe ich das auch empfunden, damals. Es sind diese Stunden um Stunden, die ich als Student vor der Kiste hing, mir eine Talkshow nach der anderen gab und mich danach regelrecht zugemüllt fühlte. Zugemüllt mit „Geschichten, die das Leben nie schreiben würde, weil es ihm peinlich wäre“, wie Kalkofe es treffend nannte.

Im Hintergrund läuft irgendein souliges Gejammer, aber der sanfte Beat wirkt irgendwie beruhigend auf mich. Im Café füllt es sich derweil. Geschichten, die das Leben tatsächlich schrieb, sind doch hier überall. Jeder einzelne hier hat eine, oft sogar eine spannende. Ich glaube, das war es auch, was mich zum Bloggen – und damit tief hinein ins Netz – zog. Nach ausführlichen Bloglektüren fühlte ich mich immer alles andere als zugemüllt. Vielmehr unterhalten, oft mitgerissen, sogar hier und da verstanden, nicht selten informiert. Nicht überall, aber man sucht sich ja seine Pappenheimer. Blogs lesen, heißt auch ignorieren können. Die Selektion ist wichtig. Eine Selektionsfreiheit, die mir das Fernsehen so nie bot. Nicht in der Reichhaltigkeit und Tiefe.

— Nie war das Fernsehen primär ein Informationskanal

Leute gehen am Café vorbei, sehen mich schreiben. Der Kaffee wird gebracht, ich bedanke mich. Klar, hab ich eine Idee für das Fernsehen der Zukunft. So wie Blogs eben. Einzelne Sendungen zum Abonnieren, so dass ich vom ganzen Trash verschont werde. Nur das sehen, was mich wirklich interessiert. Fernsehen muss Podcast werden und so weiter. Nichts besonderes also, eine ganz normale Meinung, wie man sie hundert Mal im Internet nachlesen kann. In all den Blogs und anderen Medien im Netz, die schon lange nur auf diese Weise konsumiert werden.

Die Leute um mich herum reden angeregt. Obwohl ich nicht zugehört habe – ich kann mich super konzentrieren, gerade wenn es um mich nuschelt und mauschelt – schnappe ich das Wort „Fernsehen“ auf. Die eine hatte gerade gesagt: „Also wenn ich Abends von der Arbeit komme, dann kann ich mich nur noch vor die Kiste hauen.“ „Ich lasse den Fernseher immer bei der Hausarbeit laufen“, entgegnet die andere. Da fällt es auch mir wieder ein: Nie war das Fernsehen primär ein Informationskanal. Nicht für mich, für fast niemanden. Es ist mehr sowas wie ein Ersatz-Café. Ein beruhigendes Geklirre, Gequatsche, etwas das einem im Hintergrund versichert, nicht alleine auf der Welt zu sein.

— Minigesellschaften, ohne normative Relevanz

Wir machen nur allzu schnell den Fehler, ein Medium an seinem Informationsgehalt zu messen. Vielleicht ist also das TV on Demand, das „Trippleplay“, all die Internetvideodienste wie Youtube und Co und die wachsenden Internetarchive der Öffentlich Rechtlichen gar nicht die Hauptkonkurrenz des Fernsehens. Sondern Twitter und Blogs. Diese Kanäle, die die Leben vieler Leute in einem Rauschen an meinem Auge vorbeileitet, der mich ähnlich wie die Caféhausatmosphäre in die Welt setzt und mir doch nicht direkt in die Aufmerksamkeit fährt. Insofern sind die überall im Fernsehprogramm aufpoppenden Reallitysoap-Formate nur konsequent. Aber wer will auf Dauer den Abklatsch, wenn das Original so nahe liegt?

So langsam wir es mir hier zu voll. Die Leute strömen in Massen rein, ich glaube sie wollen hier Fußball schauen. Es wir laut geredet. Ich beginne meine Sachen zu packen. Auch Niklas Luhmann verneinte die Idee, die Massenmedien seien für den Transport von Informationen und Inhalten (oder gar von „Wahrheit“) da. Ihre Funktion sei vielmehr, Anknüpfungspunkte für weitere Kommunikationen in der Gesellschaft zu generieren. Nur ist das Netz eben kein Massenmedium, das Fernsehen sehr wohl. Das in sich fragmentierte Netz schafft zwar Kommunikation und damit Gesellschaft, nur tut es das in in einem arg fragmentierten Rahmen. Die Minisubnetze von Blogs und Twitter schaffen nicht mehr das, was man im klassischen Sinne Gesellschaft nennen kann. Vielmehr Minigesellschaften, ohne normative Relevanz.

— Verlangen nach Gesellschaft

Wollte man also das Fernsehen und mit ihm die Massenmedien ad acta legen, müsste man die Massengesellschaft als solches ad acta legen. Ich persönlich glaube da (noch) nicht dran. TV-Events wie der Eurovision Song Contest, die Fußball-EM oder auch „Wetten, dass…“ zeigen: kein Medium schafft es besser, allgemeine Kommunikation und damit Gesellschaft zu generieren. Und es zeigt: es gibt ein Verlangen danach.

So. Bin in ein anderes Cafe ausgewichen. So ein alternativer Schuppen mit Yogi-Tee im Angebot. Der ist zwar nicht so mein Fall, aber die Leute sind mir sympathischer. Ich bleibe dabei: ich schaue kein Fernsehen. Aber wer bin ich schon, der ich mich mehr für das Wäschewaschen, die eingenommene Mahlzeit und den Arbeitsstress von ein paar hundert Leuten (die ich größtenteils nicht mal kenne) mehr interessiere als für den Ausgang der Europameisterschaft. Ich bin ein Freak, lasst mich ruhig hier.

ist freiberuflich als Medien- & Verlagsberater, Trainer und Medienwissenschaftler tätig. Schwerpunkte: Crossmedia, Social Media und E-Learning. Seine Blogheimat ist der media-ocean. Außerdem ist er einer der Gründer der hardbloggingscientists. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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7 comments

  1. Danke für diesen schönen Text, das ist eine Perle. Die kursiv gesetzten Teile geben einem das Gefühl dabei zu sein wie MSPro sitzt und sinniert. Hab sowas vor Urzeiten mal bei einem „richtigen“ Brief gemacht, der über 10 Stunden durch Köln streunen entstand. Ein gutes Beispiel dass man schriftlich reflektieren und trotzdem fluffig formulieren kann. Gruß…

  2. Normative Relevanz erreicht man zum Beispiel durch Strukturierung der dargebotenen Inhalte. Ist der Gewinn das Ziel der Inhaltsbereitstellung, wird zur Norm, die größtmögliche Gruppe zu bedienen und nicht zu fordern. Bedienen heißt, eine Konsumhaltung zu nähren, das heißt dem Rezipienten das Gefühl zu geben dabei zu sein ohne etwas beizutragen. Grob gesprochen: man erkennt den Deppen als Mehrheit und präsentiert ihm Bilder von Deppen, der Depp ist in der folge ruhiggestellt und frisst die gewinnbringende Werbung gleich mit. Das Individuum weiterzubringen ist moralisch ein hohes Ziel, macht die Menschen aber auch glücklich und für alles Gewinnbringende nicht ansprechbar: der glückliche Mensch ist ein schlechter Konsument. Wer für Gottschalk, osteuropäische Schlager und Fußball gewonnen werden kann, braucht, um das durchzustehen Mengen von Bier und Chips als Pseudo-Ausgleich für das im Kopf entstehende Vakuum, ist also interessant für die Gewinnoptimierung. Ich persönlich schaue noch Fernsehen. Ich schaue arte, ZDF Theaterkanal, 3sat und Ähnliches. Ich komme gut auf meine GEZ-Kosten. Und vor allem schaue ich nicht nebenbei. Man sollte, das ist meine Überzeugung, im Leben überhaupt nichts nebenbei tun.

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