Zwischen den Startup-Szenen in Deutschland und den USA gibt es große kulturelle Unterschiede. Wer auf der anderen Seite erfolgreich sein will, sollte diese kennen. Auf der einen Seite der zupackende, kalifornische Gründergeist mit leicht psychosozialen Defekten, der an seine Idee glaubt und unbeirrt an ihr festhält. Auf der anderen Seite der gemütliche, freizeitorientierte Deutsche, der aus lauter Angst vor dem Erfolg am liebsten kleine Brötchen backt und das Risiko scheut. Ist der Unterschied zwischen den Gründer-Szenen in den USA und Deutschland so einfach zu erklären?
Davon ist zumindest Star-Investor Peter Thiel überzeugt. In seinem neuen Buch „Zero to one“, das er gemeinsam mit Blake Masters geschrieben hat, vertritt der US-Investor (Paypal, Facebook, AirBnB) mit deutschen Wurzeln strittige Thesen wie „Konkurrenz ist schlecht, Monopole sind gut„. Peter Thiel schreibt auch über den Gründergeist im Silicon Valley: „Viele erfolgreiche Silicon-Valley-Gründer scheinen an einer milden Form des Asperger-Syndroms zu leiden„. Diese Krankheit könne es leichter machen, an technologischen oder unternehmerischen Ideen unbeirrt festzuhalten, selbst wenn andere sie schräg finden – weil man die Ablehnung gar nicht mitbekäme. „Pessimistisch und gemütlich“ gehe es dagegen in der deutschen Gründerszene zu, kritisiert Thiel. In dieser Startup-Szene herrsche ein „sozialdemokratisches Denken“ vor. Das bedeutet: Man gründe viele Unternehmen, aber die sollen bloß nicht zu groß werden. „Viele sprechen von der Angst vor dem Versagen. In Deutschland herrscht eher eine Angst vor dem Erfolg.“ Schreibt Thiel. Europäer sind für ihn „unkonkrete Pessimisten„, die den Niedergang für unvermeidbar halten. „Sie können nur abwarten und währenddessen können Sie das Leben genießen; das ist auch der Grund für die Freizeitmentalität der Europäer„, kritisiert Thiel.
Einen einheitlichen europäischen Markt gibt es nicht
Warum kommt Google nicht aus Germany? Diese Frage hat Udo Bub im Rahmen seiner Einbindung in die Studie „Deutsche Software Champions“ reflektiert. Bub ist Mitgründer der ICT Labs des European Institute of Innovation and Technology und deren Leiter in Deutschland. Die EIT ICT Labs bauen ein europaweites Netzwerk aus Unternehmen, Universitäten, Forschungsinstituten und Startups auf mit dem Ziel, technische Innovationen in Europa zur Marktreife bringen. Gegründet wurde es 2010 auf Initiative der EU und der Führung durch die Deutsche Telekom Innovation Laboratories. Am 25. September hat EIT ICT Labs eine Niederlassung im Silicon Valley eröffnet, um den Austausch von US-Investoren nach Europa zu stärken.
„Ein Problem in Europa ist allgemein, dass man zwar von einem einheitlichen europäischen Markt spricht, der aber in Wirklichkeit sehr fragmentiert ist. Wir haben hier unterschiedliche Kulturen, Sprachen, Währungen, Gesetze und darum ist eine Internationalisierung so schwierig. Wenn ein Unternehmen hier in Deutschland eine Idee hat, überlegen sie es sich dreimal, ob sie damit nach Frankreich oder Italien gehen„, betont Bub, der auch in den USA gearbeitet hat. „In den USA ist es ein echter, einheitlicher Markt, dem sich die ganze Welt versucht anzupassen. Wenn sie erst einmal ihren Heimatmarkt erobert haben, dann ist dort der Schritt zum globalen Unternehmen vergleichsweise klein. Das sind echte Vorteile. Wir müssen dabei helfen, den europäischen Markt zu verbessern, indem wir ihn defragmentieren. Es kommen viele gute Software-Startups aus Deutschland, die eine gewisse Größe erreichen, die aber nicht global werden und dann links und rechts überholt werden. Der Markt in Deutschland ist groß genug für viele Startups, um zu überleben. Die denken aber oft nicht daran, global zu werden. Und man geht dann nicht mehr weiter. Das ist etwas speziell in Deutschland.“ Der Thiel’schen These von den „kleinen Brötchen“ stimmt Bub damit indirekt zu. Und was ist mit dran an den unterschiedlichen Mentalitäten?
In den USA gibt es mehr Risikokapital zum Verbraten
„Man sagt ja oft, die Mentalität ist drüben ganz anders als hier. Das stimmt, die Amerikaner sind gründungsfreudiger als wir. Man muss aber differenzieren, denn die Rahmenbedingungen sind einfach anders. Man bekommt in den USA viel mehr echtes Risikokapital, mehr zum Verbraten und mehr zum Gewinnen. Hier muss man viel mehr Runden fliegen, um viel Geld zu bekommen. Das ist viel sicherheitsorientierter. Das würde ich nur weniger auf die Mentalität, sondern mehr auf die Gesetzgebung und Rahmenbedingungen zurückführen. Dieselben Leute verhalten sich anders in unterschiedlichen Märkten.“ Dass eine Firma wie Google in zehn Jahren auch aus Deutschland kommen könnte, davon ist Bub überzeugt. Sie würde aber eher aus „der deutschen Tradition der Produktion“ herauskommen, eher aus dem Business-Bereich, in dem branchentypisches Knowhow und vernetztes Denken gefragt seien. Stichwort: Industrie 4.0. „Darin sind die Deutschen besonders gut und darauf sollten sie sich besinnen„, so Bub.
Deutsche denken erst an das Problem, dann an die Lösung
Mit den Unterschieden zwischen deutscher und amerikanischer Innovationskultur kennt sich Melissa Lamson aus. Sie ist Intercultural Awareness Coach am Software-Campus Berlin und hat mehrere Bücher zu Themen wie „Unternehmenserfolg in den USA“ und den kulturellen Unterschiede zu Deutschland geschrieben. Darin gibt sie Tipps, wie europäische und deutsche Startups am besten den US-Markt erobern. Für sie werden Investment-Entscheidungen in den USA demokratischer als in Deutschland getroffen. Und doppelt so viele Startups bekommen dort frühes Gründungskapital („Angel Money“), bevor sie Risikokapital von einem Investor erhalten. Und: In den USA werden mehr Startups von erfahrenen CEOs geführt, weniger von den Gründern selbst. In Deutschland gelte jeder Manager als Produkt-Experte, in den USA sei das Führen von Mitarbeitern, finanzielles oder operatives Knowhow wichtiger für einen Chef, der Experten bei Bedarf einbinden kann. US-Startups schauen laut Lamson viel mehr auf den Markt und seine Bedürfnisse und schneiden dafür das Produkt zurecht. Deutsche denken da eher: „Wenn wir es bauen, werden sie schon kommen.“ Die Folge: Es gibt eine Menge qualitativ hochwertiger Produkte, aber wenig Nachfrage.
Andersherum funktionieren manche Geschäftsmodelle von US-Startups nicht, wenn sie 1:1 auf Deutschland übertragen werden. Prominentestes Beispiel dafür ist Uber. In Deutschland gibt es bereits einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr, er sei sicher und sauber und es gäbe nur wenig Bedarf für einen Fahrer-Dienst, erklärt Lamson. Ein weiterer Unterschied: „Alles, was persönliche oder finanzielle Informationen enthält, macht die Deutschen skeptisch. Das interessiert US-Kunden eher weniger. In den USA sei es wichtig zu verstehen, wie der Kunde ticke, was ihn wirklich begeistert. Diese Begeisterung für das Produkt wollen auch Investoren in den USA spüren, besonders im Silicon Valley. Sie lieben Wörter wie „legendär“, „Leidenschaft“, „Aufregung“ und „Rockstar“„, so Lamson. Fallen diese nicht, verlieren sie schnell das Interesse. Das gilt auch, wenn Gründer zu viel über Probleme statt über Lösungen erzählen. „Amerikaner fangen gern mit dem Ergebnis an und überlegen dann, wie sie das Ziel erreichen. Deutsche wollen zuerst das Problem verstehen und dann die Lösung erarbeiten„, so Lamson.
Smalltalk als „kulturelle Falle“
Und noch eine kulturelle Falle lauere auf deutsche Startups in den USA: Der Smalltalk. Denn während der Deutsche gern über schwierige, große Themen diskutiere, bleibe der Amerikaner oft lieber an der Oberfläche und vermeide kritische Themen wie Politik. „Die Deutschen fragen mich immer, was sie auf die Frage ‚How are you?‘ antworten sollen„, berichtet Lamson, „dabei ist das ganz einfach: ‚Fine thanks, and you?‘„.
Image (adapted) „Startup workshop“ by Apps for Europe (CC BY 2.0)
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Schlagwörter: deutschland, Europa, Gründerszene, Innovationskultur, Peter Thiel, startups, USA