Crowdinvesting ist eine noch sehr neue Form des Investierens. Sie basiert auf Blockchain-Technologien und setzt, ähnlich wie das Crowdfunding es schon seit Jahren tut, auf die Finanzierung vieler Einzelpersonen. Wir finden diese digitale Investitionsmöglichkeit extrem spannend und haben uns das Crowdinvesting, dessen Vor- und Nachteile sowie dessen nutzen für insbesondere Nachhaltige Projekte, von Philip Liesenfeld erklären lassen. Er ist Prokurist bei WIWIN, einer Plattform, die es Anlegern einfach möglich macht, in nachhaltige und soziale Projekte zu investieren.
Was ist eigentlich Crowdinvesting?
Crowdinvesting wird auf Deutsch auch als Schwarmfinanzierung bezeichnet. Eine Vielzahl an Investoren, die einzeln betrachtet einen verhältnismäßig kleinen Betrag in ein Projekt investieren, bilden gemeinsam die Crowd bzw. den Schwarm und können so auch große Projekte finanzieren. Die heutigen Möglichkeiten des digitalen Investierens machen es möglich, derartige Schwarmfinanzierungen effizient umzusetzen. Anders als beim Crowdfunding werden die Geldgeber beim Crowdinvesting am wirtschaftlichen Erfolg des finanzierten Projekts finanziell beteiligt. Die finanzielle Beteiligung erfolgt häufig in Form regelmäßiger Zinszahlungen. Im Bereich der Unternehmensfinanzierung findet man darüber hinaus aber auch viele Angebote, die eine erfolgsabhängige Vergütung in Abhängigkeit von Firmen-Kennzahlen wie Umsatz, Gewinn oder Unternehmenswert anbieten.
Wie funktioniert Crowdinvesting?
Dank der heutigen technologischen Möglichkeiten können alle wesentlichen Aspekte des Investierens, die man früher nur persönlich bei seinem Bank- oder Vermögensberater durchführen konnte, auch digital – also online und von zu Hause aus – abgebildet werden. Dazu gehören beispielsweise der wirksame Vertragsabschluss oder die persönliche Identifikation mit einem gültigen Ausweis.
Bei WIWIN beispielsweise läuft das konkret wie folgt ab:
- Anleger*in sucht das für ihn/sie passende Angebot auf unserer Plattform aus.
- Im Zuge der Registrierung auf unserer Plattform wird ein Kundenkonto angelegt.
- Der Investitionsprozess wird durchlaufen. Dabei wird der gewünschte Investitionsbetrag angegeben und die Emissionsdokumente an den/die Anleger*in geschickt.
- Es erfolgt eine persönliche Identifizierung gemäß Geldwäschegesetz, zu der jeder Finanzdienstleister verpflichtet ist.
- Auf Basis einiger freiwilliger Angaben des/der Anlegers/Anlegerin über ihre Kenntnisse und Erfahrungen mit Geldanlagen wird die sogenannte Angemessenheitsprüfung durchgeführt.
- Sobald alle Vertragsunterlagen vollständig vorliegen, erfolgt die Freigabe des Investments durch die Emittentin (= die Herausgeberin des Kapitalanlageprodukts).
- Anschließend zahlt der/die Anleger*in den Investitionsbetrag ein.
- Das Investment ist abgeschlossen und der Vertrag ist aktiv. Im Kundenkonto kann der/die Anleger*in anschließend die getätigten Investments einsehen und verwalten.
Für wen ist Crowdinvesting eigentlich interessant?
Für alle Anleger*innen, die schon ab kleinen Beträgen in, aus ihrer Sicht spannende und erfolgsversprechende, Projekte investieren möchten. WIWIN fokussiert sich auf nachhaltige Geldanlagen. Jede/r, die/der schon mit kleinen Beträgen Projekte, die zu einer nachhaltigen Zukunft beitragen, unterstützen und dafür eine finanzielle Vergütung erhalten möchte, findet in der Regel immer wieder spannende Angebote.
Inwiefern unterscheidet sich Crowdinvesting von anderen Investitionsmöglichkeiten?
„Crowdinvesting“ ist kein geschützter Begriff oder eine spezifische Bezeichnung für eine besondere, neue Art von Finanzinstrument. Alle Investment-Angebote am Markt – egal welcher Art – zeigen immer ein spezifisches Chance-Risiko-Profil. Genauso ist es auch bei Crowdinvesting- Angeboten. Eigentlich ist das, was Crowdinvesting beschreibt, die Tatsache, dass Investments schon ab kleinen Beträgen und per digitalem Investieren möglich sind. Viele Angebote im Crowdinvesting-Bereich sind nachrangig ausgestaltet. Dadurch ist das Risiko höher, aber auch die Verzinsung attraktiver. Das sogenannte Emissionsvolumen, also das pro Kapitalanlageprodukt maximal mögliche einzuwerbende Kapital, ist bei Crowdinvesting-Angeboten häufig geringer und anders als beispielsweise bei börsengelisteten Wertpapieren wie etwa Anleihen. Es gibt in der Regel keinen organisierten Sekundärmarkt. Viele Crowdinvesting-Angebote haben eine konkrete Mittelverwendung. Das heißt, dass man sehr genau einsehen kann, wofür das eingeworbene Kapital genutzt werden soll. Somit ist es einfach möglich, ein Investment dahingehend zu prüfen, ob man es aufgrund der eigenen Werte unterstützen möchte.
Wieso ist Crowdinvesting besonders für nachhaltige Projekte so interessant?
Da bei Crowdinvesting in der Regel konkrete Projekte unterstützt werden, können die Anleger*innen den Nachhaltigkeitsaspekt meist sehr direkt nachvollziehen. Bei vielen anderen, vermeintlich nachhaltigen Geldanlagen werden häufig sehr zweifelhafte Nachhaltigkeitsstandards angesetzt. Weit verbreitet ist hier der Best-in-Class-Ansatz. Dieser führt beispielsweise dazu, dass Unternehmen aus der Branche der fossilen Energien plötzlich als nachhaltig klassifiziert werden, weil sie im Vergleich zu anderen Unternehmen aus der Vergleichsgruppe etwas bessere Standards haben. Die Tatsache, dass Unternehmen, die beispielsweise Öl und Gas fördern, allein durch ihr Geschäftsmodell nicht nachhaltig sein können, wird hierbei ignoriert. Darüber hinaus ist der bisherige Erfolg der Energiewende in Deutschland insbesondere aufgrund des Engagements von Bürgerinnen und Bürgern sowie häufig mittels Energiegenossenschaften entstanden. Große Konzerne sind bis heute bei der Energiewende eher die Nachzügler als die Vorreiter. Dieser „Grassroots“-Ansatz passt sehr gut zum Crowdinvesting.
Wir haben uns in unserem Podcast Tech und Trara übrigens mit dem Energiewende-Pionier und Gründer von WIWIN Matthias Willenbacher unterhalten. Eine sehr spannende Folge über die Energiewende und die Rolle, die Startups in dieser haben.
Auf dem Crowdinvesting-Markt ist aktuell Einiges in Bewegung; immer mehr Plattformen nutzen beispielsweise die Blockchain- Technologie zur Abwicklung und vermitteln tokenisierte Emissionen. Worin unterscheiden sich digitale Wertpapiere eigentlich gegenüber nicht-digitalen Wertpapieren?
Bei klassischen Wertpapieren werden die Vermögenswerte in Form einer Globalurkunde verbrieft und beim bisher einzigen deutschen Zentralverwahrer, der Clearstream Banking AG, hinterlegt. Der Zentralverwahrer kommuniziert bei der Abwicklung dann nicht direkt mit den Anlegerinnen und Anlegern, sondern mit Finanzintermediären, wie Zahlstellen und Depotbanken. So sind in der Abwicklung einer klassischen Wertpapiertransaktion also zwangsläufig eine Vielzahl von Parteien eingebunden. Alle diese Parteien erheben Gebühren und dadurch steigen die Kosten. Darüber hinaus kann die Abwicklung der Transaktionen teilweise mehrere Tage dauern. Der beschriebene zentralisierte Prozess über Clearstream etc. kann durch eine dezentrale Blockchain-Infrastruktur abgelöst werden, die ebenfalls sehr sicher ist. Die Globalurkunde ist dann nicht mehr nötig und die Verbriefung der Vermögenswerte wird durch die sogenannte „Tokenisierung“ ersetzt. Durch die Blockchain-Infrastruktur können Transaktionen auch direkt zwischen zwei Parteien und fast in Echtzeit erfolgen. Durch die geringere Anzahl an zwischengeschalteten Parteien sinken zusätzlich die Transaktionskosten.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Auflage digitaler Wertpapiere?
Die größte Herausforderung ist aktuell sicherlich, dass es noch kein einheitliches und klar definiertes Regelwerk gibt. Das kann dazu führen, dass sich die Struktur der angebotenen Produkte innerhalb der nächsten Monate und Jahre noch deutlich ändern wird. Ein gewisses Maß an Flexibilität ist also Pflicht bei Strukturierung und Vertrieb. Darüber hinaus gibt es für digitale Wertpapiere noch keine etablierten Handelsplätze, sodass ein organisierter Zweitmarkt momentan noch nicht existiert. Auch das ist aktuell noch dem fehlenden beziehungsweise unklaren aufsichtsrechtlichen Spielregeln geschuldet. Aufgrund des schon heute immensen Interesses des Finanzmarkts an digitalen Wertpapieren beziehungsweise „Tokens“ gehen wir davon aus, dass diese Herausforderungen binnen weniger Jahre gelöst werden und es gut funktionierende etablierte Standards und Marktplätze geben wird.
Wie lassen sich diese Herausforderungen bewältigen?
Im Wesentlichen, indem die entsprechenden Gesetze verabschiedet und für alle klare Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, in Europa im Bereich der digitalen Wertpapiere führend zu werden. Deutschland ist hier tatsächlich schon vergleichsweise weit fortgeschritten, sodass es zumindest schon einmal einen Referentenentwurf zu diesem Thema gibt. Allerdings umfasst dieser Entwurf nicht alle relevanten Punkte.
Stehen sich wirtschaftliche Nachhaltigkeit und ökologische Nachhaltigkeit manchmal gegenseitig im Weg?
Manchmal sicherlich, aber das ließe sich wahrscheinlich auch auf verschiedene andere Dimensionen übertragen (z.B. Nutzfläche vs. Ästhetik bei Immobilien). Grundsätzlich gilt jedoch, dass ökologisch nachhaltige Projekte häufig weniger Risiken haben. Vielmehr noch ist die mittel- und langfristige ökonomische Perspektive für ökologisch nachhaltige Projekte aufgrund des notwendigen Systemwechsels hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft oft sehr gut. Letztlich muss aber jede/r Anleger/in für sich selbst entscheiden, welche Dimension der Nachhaltigkeit ihm/ihr am wichtigsten ist.
Ein wichtiger Aspekt für Investitionen ist Sicherheit. Sind nachhaltige Projekte zukunftssicherer oder unsicherer? Oder kann man das überhaupt nicht sagen?
Es gibt einige Untersuchungen, die sich mit der Frage der Rendite-Unterschiede zwischen nachhaltigen und nicht-nachhaltigen Investitionen befasst haben. Dabei kam heraus, dass es tatsächlich keine nennenswerten Unterschiede gibt. Allerdings ist ein klarer Trend – auch in der „Mainstream“-Finanzwelt – hin zu nachhaltigen Investitionen zu erkennen; ebenso wie zum sogenannten „pestment“, das heißt dem Abstoßen nicht-nachhaltiger Werte im Portfolio. Viele Akteure haben erkannt, dass das Festhalten an nicht-nachhaltigen Positionen, beispielsweise im Bereich der fossilen Energien in wenigen Jahren zu krassen Abschreibungen führen kann. Denn bestimmte Trends – wie etwa der Trend der Energiewende – aber auch der Trend der Elektromobilität sind mittlerweile unaufhaltbar. Wer da jetzt noch auf das falsche Pferd setzt, könnte in wenigen Jahren baden gehen. Darüber hinaus darf man sicher in der Mehrheit der Fälle davon ausgehen, dass die Unternehmen und Projektinhaber, die Wert auf nachhaltiges Handeln legen, auch nachhaltig wirtschaften und ihre Unternehmungen entsprechend führen.
Worauf sollte ich als potenzieller Investor beim Crowdinvesting achten? Wie finde ich die richtige Anlage für mich?
Eine Grundregel ist sicherlich, dass ich als Anleger*in sowohl das Finanzprodukt, als auch das damit finanzierte Vorhaben oder Unternehmen verstehen sollte. Darüber hinaus sollte man sich über mögliche Risiken informieren und nur das Geld investieren, auf das ich zur Deckung meiner üblichen Kosten und Ausgaben nicht angewiesen bin.
Vielen Dank Philip Liesenfeld für das sehr informative Interview!
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