Es ist aktuell wohl eines der größten Hypes der Technologiegiganten. Ob Facebook, Epic Games oder Tencent – sie alle wollen im Metaverse stattfinden. Doch was ist ein Metaverse überhaupt? Wir erklären das „nächste große Ding“, das irgendwann unser bekanntes Internet ablösen soll. Dazu gehören die Merkmale des Metaversums und die Vor- und Nachteile, die sich daraus ergeben. Dabei gibt es noch einige Hürden zu überwinden, um die Vision zur Realität zu machen. Einen Blick werfen wir außerdem auch auf Second Life, welches seiner Zeit gewissermaßen voraus war, als es zum Prototyp eines Metaversums wurde.
Was ist das Metaverse?
Bislang hatten wir eine starke Trennung zwischen virtueller und echter Welt. Gerade in Spielen sind virtuelle Welten oft in sich geschlossene Systeme. Das Metaverse reißt diese Barrieren ein. Die echte Welt wird ein Teil unserer echten Welt und die echte Welt ein Teil der virtuellen Welt. Diese Verschmelzung beider Welten soll der Nachfolger des uns bekannten Internets werden.
Durch Social Media wurden diese Barrieren bereits ein Stück weit eingerissen. Es ist für uns bereits ein leichtes, andere per Livestream oder einem schnellen Foto an unserem Leben teilhaben zu lassen und umgekehrt. Auch Unternehmen bauen mittlerweile darauf, dass wir Produkte direkt aus dem Social Media heraus kaufen können.
Im Metaverse fallen aber auch die Grenzen abgeschotteter Dienste weg. Statt sich überall neu einloggen zu müssen, geht alles nahtlos ineinander über. Im Idealbild des Metaverse, springen wir nahtlos von einem Internetdienst zum anderen, holen Personen aus der realen Welt hinzu oder tauchen umgekehrt bei ihnen aus der digitalen Welt heraus auf.
7 Merkmale des Metaverse nach Matthew Ball
Als ein wichtiger Denker des Metaversums gilt Matthew Ball. Dessen Essay „The Metaverse: What It Is, Where to Find it, Who Will Build It, and Fortnite” und weitere davon ausgehende Artikel hat Facebook-Gründer Mark Zuckerberg bereits als Pflichtlektüre bezeichnet.
Als Kernattribute hat Matthew Ball 7 Merkmale festgelegt, die das Metaverse erfüllen soll.
Persistenz
Das Metaverse kennt kein Ende, keinen Reset und keine Pause. Es läuft unendlich weiter. Es muss also gewährleistet werden, dass es auch unabhängig eines einzelnen Unternehmens Bestand hat, so wie das Internet auch nicht verschwindet, nur weil ein Provider pleite geht. Das geht aber auch für die eigene Account-Historie, die sich nahtlos fortsetzt.
Das hat den Vor- und Nachteil, dass wir online künftig eine ähnlich einzigartige Identität genießen wie in der physischen Welt. Sie soll sich nicht mehr wie eine Art Spiel anfühlen, sondern wie ein Teil der eigenen Person.
Synchron und Live
Das Metaversum findet als Erweiterung der Realität auch in Echtzeit statt. Das schließt keinesfalls vorgeplante Events aus – die gibt es schließlich auch im echten Leben. Es ist aber eine lebendige Erfahrung, die für jeden am selben Ort im Metaverse gleich ist.
Was wir im Metaverse machen, wird somit eine sehr reale Erfahrung. Wir können uns nicht vor anderen verstecken und andere auch nicht vor uns. Jeder der einen Ort im Metaverse besucht, ist auch dort sichtbar – wenn auch in der Form eines Avatars.
Kein Limit für zeitgleiche User
Im Gegensatz zu vielen Spieleservern, kennt das Metaverse kein Limit an Nutzern, die zeitgleich am Metaverse teilhaben können. Jeder hat die Möglichkeit an einem Event, Ort oder einer Aktivität teilzuhaben. Im Gegensatz zu vielen Onlinespielen bedeutet es auch, dass es keine verschiedenen Instanzen einer Region geben darf. Jeder muss auch mit jedem anderen am selben Ort des Metaversums interagieren können.
Eine vollumfänglich funktionierende Wirtschaft
Im Metaversum können Unternehmen und Einzelpersonen auch ihre Arbeit zu Wert machen. Sie können Dinge erschaffen, besitzen, verkaufen und investieren. In diesem Zusammenhang könnte die Blockchain richtig aufleben. Mit dieser können nicht nur digitale Besitztümer sicher verwaltet werden – Kryptowährungen könnten sich auch als Zahlungsmittel für beide Welten etablieren.
Das Metaverse umfasst digitale und physische Welt
Eines der wichtigsten Merkmale des Metaversums ist, dass sie die digitale und physische Welt verbindet. Wir können in der digitalen Welt die physische Welt beeinflussen und umgekehrt. Das bedeutet unter anderem, dass die zuvor erwähnte Wirtschaft nicht für sich abgeschottet ist. Ein virtuelles Business im Metaverse kann einem so auch den Lebensunterhalt verdienen. Auch deswegen haben Kryptowährungen ein hohes Potential, da sie sich teils bereits auch in der physischen Welt etablieren konnten.
Interoperabilität zwischen Anwendungen
Anwendungen innerhalb des Metaverse erlauben eine Nutzung von Daten, Items und Inhalten untereinander. Das könnten Filter aus einem Social Networks sein, die auch bei anderen Anbietern funktionieren oder Skins und Modelle aus Spielen, die wir auch in anderen Spielen eines gänzlich anderen Publishers nutzen können. Es bedeutet aber auch, dass wir nur einen Login benötigen, um Zugriff auf alle anderen Anwendungen innerhalb des Metaversums zu erhalten.
Jeder kann Inhalte erstellen
Das Metaversum erweitert sich ständig um neue Inhalte. Diese kommen nicht von einem festen Team, sondern können von jedem, auch Unternehmen und Einzelpersonen, erstellt werden. Dabei können auch – Stichwort Wirtschaft – geschäftliche Interessen hinter den Inhalten stecken.
Wichtig ist für das Metaverse also, auch die Werkzeuge zur Verfügung zur stellen, mit denen jedem die Möglichkeit gegeben wird, nicht nur teilzunehmen, sondern auch mitzugestalten. Im Internet sind das beispielsweise Internetseiten oder Apps. Im Metaverse können das eigene Welten oder Spiele sein, die sich nahtlos einfügen und aus denen sich ebenso nahtlos andere Dienste, wie etwa Social Networks, nutzen lassen.
Second Life – Ein Prototyp des Metaverse?
Die 7 von Matthew Ball genannten Merkmale könnten einem fast schon etwas vertraut vorkommen. Tatsächlich gibt es nämlich bereits schon länger eine solche Welt, die fast alle Checkboxen abhaken kann.
2003 startete Linden Lab die virtuelle Welt „Second Life“, die damals schon bereits das Ziel hatte, ein Metaversum nach Vorbild des Romans „Snow Crash“ zu erschaffen. Diese kann man gemeinsam mit anderen besuchen, aber auch selbst mit den Werkzeugen neue Inhalte erschaffen. Das können Avatare, Gegenstände aber auch ganze Welten sein. Die Ingame-Währung lässt sich zudem auch in reale Währung umtauschen.
Trotz vieler Kritik zum Start und der von den Medien später nur noch spärlichen Berichterstattung hält sich Second Life auch heute noch. Im Vergleich zu den Metaverse-Visionen besitzt Second Life aber eher einen starken Unterground-Charme. Es ist eine Art Szene, die vor allem in Second Life selbst existiert, statt eine Plattform, die große Teile der Bevölkerung miteinander verbindet und eine Brücke zwischen physischer und digitaler Welt erschafft. Trotzdem ist es aus heutiger Perspektive beeindruckend, wie nah Second Life 2003 bereits an heutigen Vision war.
Welche Vorteile hat das Metaverse?
Einheitliche Standards
Ein Vorteil, der von vielen unterschätzt wird, sind einheitliche Standards, die durch das Metaversum entstehen. Für die nahtlose Erfahrung und Interoperabiltität müssen sich Unternehmen auf einheitliche Strukturen und Schnittstellen einigen.
Weniger Barrieren
Die einheitlichen Standards erlauben einen nahtloseren Übergang verschiedener Anwendungen. Dabei wird auch der Übergang der physischen und digitalen Welt niedrigschwelliger. So könnte man etwa – die richtige Hardware vorausgesetzt – gleichermaßen jemanden AR visuell in ein Präsenzmeeting holen, wie auch die anderen Mitglieder als Avatare in eine VR-Umgebung zugeschalter Teilnehmer. Auch Kleidung in der physischen Welt zu kaufen und damit zugleich einen Skin für den Metaverse-Avatar zu erhalten wäre eine coole Sache.
Größere Onlinewelten
Das Internet wie wir es kennen, ist in vielen Bereichen limitiert. Es gibt nur wenige Videospiele, die wirklich große Megaserver erlauben, mit vielen Tausend zeitgleichen Spielern auf einer Map. Selbst ein EVE Online, dass für seinen Megaserver bekannt ist, wird zur Ruckelorgie, sobald große Weltraumschlachten mit vielen Spielern auf engem Raum stattfinden.
Für das Metaverse müssen neue Strukturen geschaffen werden, die genau dies erlauben, ohne dass die Erfahrung unter schlechter Performance leidet. Und es müssen dabei auch mobile Geräte funktionieren, da das Metaversum als Teil des künftigen Alltages immer nutzbar sein muss. Schafft man dies zu erreichen, könnten ganz neue Erfahrungen entstehen: Onlinespiele mit riesigen von Spielern bevölkerten Städten oder VR-Konzerte mit Hunderttausend Avataren, die Onlinekonzerte gleichermaßen zu einer unglaublichen Erfahrung für Bands und Fans machen.
Welche Nachteile hat das Metaverse?
Sucht und Abhängigkeit vom Metaverse
Bereits soziale Medien können im Übermaß negative Wirkung auf unser Leben haben. Fear of Missing out, Follower als Maßstab der eigenen Relevanz, per Social Media eine geschönte Realität vorgaukeln. Das Metaverse könnte solche Nebeneffekte nochmal verstärken. Nicht ganz ohne Grund sind Metaverse-ähnliche Konzepte in der Science Fiction eher Teil einer technologischen Dystopie.
Das Metaversum birgt noch größere Gefahren, sich in der „neuen Realität“ zu verlieren. Andere, vorwiegend wohl ältere Teile der Bevölkerung verlieren hingegen noch mehr den Anschluss zum modernen Leben, wenn dieses noch stärker digital abläuft.
Macht der Unternehmen
Auf dem Papier kann jeder das Metaversum mitgestalten. Wenn zahlreiche Internetgiganten die Entwicklung des Metaverse voranbringen möchten ist aber auch klar: Sie erhoffen sich daraus auch eine Vormachtstellung.
Überhaupt wird es eine Herausforderung , das Metaverse in irgendeiner Form zu regulieren, da Länder zwar Gesetze erlassen können, das Metaverse selbst aber eine Parallelwelt werden könnte, die von Unternehmen „regiert“ wird.
Das Ende der Anonymität?
Zwar wird man im Metaverse wohl seinen Avatar wechseln können und womöglich einen Nickname wählen können, doch insgesamt wird die Anonymität abnehmen. Es ist enger mit der Realität verzahnt und lebt davon, dass man alle Dienste mit nur einem Account nutzt.
Wie weit man letztlich im Metaversum identifizierbar sein wird, kann man aktuell noch nicht sagen, aber es ist davon auszugehen, dass man einiges von der aktuellen Anonymität des Internets aufgibt. Das ist unter anderem schon nötig, um das größere Potential für Cyberkriminalität einzudämmen.
Welche Hürden gibt es noch?
Das Metaverse muss natürlich wachsen
Es wird kaum so sein, dass uns ein fertiges Metaverse vorgesetzt werden, dass wir von heute auf morgen annehmen. Auch wenn viele große Unternehmen die Entwicklung vorantreiben möchten, muss sich das Metaversum trotzdem weitgehend auf eine natürliche Art entwickeln.
Matthew Ball hat es in seinem Essay gut mit Facebook verglichen, das nicht als das Social Network begann, als das wir es heute kennen. Es war zunächst eine „Hot or not“-Abstimmung über Studentinnen und entwickelte sich zu einem Studentennetzwerk, ehe es über die Uni-Grenzen hinaus erfolgreich wurde.
Auch konnte sich Second Life nicht bei der großen Masse etablieren. Allerdings bewegt sich Second Life in bereits vorhandenen Internet-Strukturen und ist 2003 erschienen – also in dem Jahr wo Mark Zuckerberg mit der „Hot or not“-Abstimmung anfing, Myspace als erstes großes Social Network gegründet wurde, es noch nicht einmal StudiVZ gab und das erste iPhone noch 4 Jahre entfernt war. Kurzum: Die Welt war weniger bereit für das Metaverse, als sie es heute ist. Trotzdem ist noch einiges an Überzeugungsarbeit nötig, Interesse an der Zukunftsvision zu wecken.
Einheitliche Standards finden
Was war es für ein Kampf, bis die Bluray sich gegen die HD-DVD durchsetzen konnte. Und obwohl sich die Bluray 2008 durchsetzte, gibt es noch immer sehr große DVD-Abteilungen in den Märkten. Auch die SSD gibt es für Computer schon ewig, kann aber erst mit Windows 11 mehr Potential entfalten und ist noch nicht der Standard für den entwickelt wird.
Das Metaversum verlangt jedoch eine Standardisierung auf mehreren Ebenen. Das Internet und seine Protokolle reichen nicht aus für eine virtuelle Umgebung, in der sich unbegrenzt viele Personen zur selben Zeit an einem Ort aufhalten können. Dafür muss eine neue Infrastruktur geschaffen werden. Zugleich müssen sich aber auch viele etablierte Dienste auf Datenstandards einigen, damit Datensets zwischen den verschiedenen Anwendung genutzt werden können.
Während sich neu geschaffene Strukturen einfacher etablieren können – wie etwa die enorm schnelle Verbreitung der Smartphones – ist es schwieriger, bereits bestehende Strukturen zu durchbrechen – wie bei Bluray/DVD oder SSD/HDD. Dabei müssten alle Unternehmen, die das Metaverse anstreben, an einem gemeinsamen Strang ziehen und auch hinnehmen können, dass sie hier und da mehr Nachteile hinnehmen als die Konkurrenz.
Wem gehört das Metaverse?
Wie beschrieben, wird das Metaverse vermutlich auf natürliche Art entstehen. Ein Unternehmen erschafft – eventuell auch aus einem Spiel wie Fortnite heraus – einen Rahmen, der von einer breiten Masse genutzt wird. Andere Unternehmen haben irgendwann kaum eine andere Wahl, als mit auf den Zug aufzuspringen – eben weil die breite Masse sich bereits für eine Plattform entschieden hat.
Auf der anderen Seite ist ein Metaversum unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens schon wieder die berühmte Science Fiction-Dystopie, in der ein Unternehmen die Kontrolle über die virtuelle Ebene unseres Lebens hat. Im Optimalfall erschafft das Unternehmen nur einen Rahmen und bleibt wirtschaftlich bei seinem Kerngeschäft. Das Metaverse läuft dezentral und jeder kann am Metaverse teilhaben, ohne sich in Abhängigkeit des besagten Unternehmens zu bringen.
Aber selbst wenn das der Fall ist, bleiben da noch andere Fragen: Wer legt die Regeln für das Metaversum fest? Wer überwacht die Einhaltung und wie werden Cyberverbrechen in der Zukunft bestraft? Gerade sehr futuristisch in die VR gedacht, bräuchte es auch eine Art Polizei,+ die einschreitet, wenn jemand etwa aufdringlich wird. Wäre es Aufgabe des Staates, Cyberpolizisten zu stellen oder wird das Metaverse zum eigenen Rechtsraum?
Diese Fragen sind nicht alle sofort relevant. Das Metaverse muss erst entstehen und wachsen und wir wissen nicht, in welche Richtung es sich tatsächlich entwickelt. Trotzdem sind es Fragen, die man sich rechtzeitig stellen muss, um nicht irgendwann überrascht zu werden, wenn es schnell eine Antwort braucht.
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