Im aktuellen Netzpiloten Boarding Call fragen wir Experten, was deren Web-Highlight im Jahre 2012 gewesen ist. Heute mit dabei: Martin Giesler und Tilo Jung.
Das Jahr 2012 war wieder einmal ein bewegendes Jahr. Der Viral „Kony 2012“, war das erste Internetvideo, das innerhalb von fünf Tagen 70 Millionen Mal aufgerufen wurde. Facebook hat die Nutzer-Milliarde durchbrochen und Redbull zusammen mit Felix Baumgartner sämtliche YouTube-Rekorde auf einen neuen Höchststand katapultiert. Doch was hat deutsche Webbies, neben diesen Meldungen der Superlative noch so bewegt? Wir haben einige Web-Influencer gefragt: „Was war dein diesjähriges Highlight im Web?“
Martin Giesler (ZDF, Blogrebellen)
2012 war für mich das Jahr des Videos! Klar, es gibt auch andere wichtige Themen, wie etwa die extrem zunehmende Relevanz von Twitter und Facebook für Journalisten, das leidige Thema Leistungsschutzrecht oder die Leistungsschau rund um das, was mit Social Media möglich ist: die US-Wahl. Aber trotzdem ist mein Thema des Jahres ganz klar Video. Die immer größere Bedeutung von Bewegtbild im Netz hat 2012 einen satten Anlauf genommen, um 2013 richtig durchzustarten.
Spiegel Online überträgt Konzerte, Bild.de baut sich ein eigenes Studio für eine Wahlsondernsendung, Zeit Online erprobt Hangouts, die Huffington Post macht gleich komplett auf TV-Station und auch wir setzen bei heute.de mit unserer neuen Seite voll auf das, was wir beim Fernsehen am besten können: bewegte Bilder – ob live auf der Seite oder in der Mediathek! Facebook überlegt derweil Video-Ads in die Timeline zu integrieren und sägt so am Ast der Fernsehanstalten.
Im Zentrum dieser Entwicklung steht für mich aber trotzdem ganz klar Google, weil sie zwei zentrale Dinge geschafft haben: Erstens haben sie mit YouTube einen Player am Markt etabliert, der nicht mehr nur für Leute interessant ist, die sehen wollen, wie sich andere Reißzwecken in die Stirn stecken. Im Gegenteil: Sowohl der Nachrichtenkonsum als auch die Professionalisierung haben unfassbar angezogen – denken wir nur an die Special Interest Kanäle, Walt Disney Videos on Demand, die Übertragung von Präsidentschaftsdebatten oder das unvergleichliche Live-Event zu Baumgartners Red Bull Sprung. Zweitens haben sie mit Google+ ein super Tool gebastelt, das jedem ermöglicht, seine eigene Show zu stemmen – Daniel Fiene`s „Digitales Quartett“ lässt grüßen. Video im Internet war noch nie so einfach.
Auch ich kann mich als gelernter Fernsehredakteur im Netz austoben und mit meinen Kollegen bei den Blogrebellen jeden Dienstag eine Live-Show auf die Beine stellen, bei der wir wahlweise kochen oder Musik auflegen, Leute interviewen oder alles auf einmal machen – was immer auch funktioniert.
Und das ist der zentrale Punkt: Fernsehen lässt sich nicht Eins zu Eins im Web machen. Meine Wette lautet: Wer das als erster richtig gut hinbekommt, der gewinnt.
Martin Giesler arbeitet als Redakteur beim ZDF und mache dort was mit Nachrichten & Internet. Er bloggt auf 120sekunden.com über Webvideo, Social Media und digitalen Journalismus, nutzt Tumblr für Links und Grafiken, die es nicht ins Blog schaffen und schreibt über Dubstep, DJing und Kultur auf blog.rebellen.info. Martin ist bei Facebook, Google+ und Twitter.
Tilo Jung (Medienmagazin, All You Can Ask)
Es ist schwer, ein persönliches Web-Highlight herauszupicken. Ich probier’s daher mal mit einem gesellschaftlichen: Was mich 2012 Tag für Tag besonders zum Grinsen gebracht hat, ist der unaufhaltsame Bedeutungsanstieg des Web und die damit einhergehende, weitere Entmachtung der etablierten medialen Institutionen. Ob man sich die Lage nun hierzulande anschaut, wo sich die Platzhirsche Verlage mit dem Schrei nach einem Leistungsschutzrecht lächerlich machen und ihre Redakteure die Öffentlichkeit teils bewusst desinformieren lassen. Die Lobbyarbeit hat den Newsroom erreicht. Das Web, also wir, deckt den Unfug regelmäßig auf. Wer weiß, wo das LSR schon wäre, wenn im Netz nicht gegengesteuert würde. (Der Widerstand bei LSR, ACTA, SOPA/PIPA war 2012 nur der Anfang). Gleichzeitig will man sich weiter den digitalen Realitäten verweigern und das Geschäftsmodell Zeitung auf Teufel komm raus verteidigen. Zu leiden haben darunter die angestellten und freien Journalisten, bei denen von Verlagsseite gespart wird und nicht etwa Druckereien und Vertrieb.
Auch im deutschen Fernsehen setzt man weiterhin auf altbewährtes und tut hier und da so, als würde man verstanden haben, wie „das Netz“ einzubinden sei. Da kommen dann „interaktive“ Formate wie zdfLogin etc. heraus. Die Fersehsender haben noch immer nicht kapiert, dass der Zuschauer wissen will, dass sein Input, seine Partizipation entscheidend sind. Die ‚Netzgemeinde‘ möchte nicht gefüttert werden, sie möchte füttern, liebe Sender.
Aber auch auf der anderen Seite des Atlantiks bröckeln die Institutionen und ihre Narrative. Und wieder spielt das Web den entscheidenden Faktor. Bestes Beispiel ist für mich 2012 die US-Präsidentschaftswahl gewesen. Erinnert ihr euch, wie monatelang propagiert wurde, wie spannend und eng das Rennen ums Weiße Haus gewesen sei? Die medialen Institutionen haben sich, wie Rosinenpicker, die Statistiken und aktuellen Umfragen herausgesucht, die dieses Narrativ bis zum Wahltag bestätigten. Doch zum Glück gab es z.B. einen Nate Silver, der auf seinem FiveThirtyEight-Blog von der New York Times schon seit Monaten aufschlüsselte, warum Barack Obama und nur er gewinnen würde. Silver standardisierte schlicht alle verfügbaren US-Umfragen und erklärte die Ergebnisse. Obama war, seitdem Mitt Romney als Gegenkandidat feststand, nie in Gefahr das Rennen zu verlieren. Doch die „alten Medien“ hatten ihren Spaß und natürlich Eigeninteresse daran, das Rennen spannend zu halten. Nate Silver wurde fast konsequent ignoriert und bekam nur im Web „traction“. Als die Wahl vorbei war und Obama überwältigend gewonnen hatte, wollte dann aber plötzlich auch „old media“ wissen, wie und warum Silver dieses Ergebnis schon seit Monaten vorhersagte…
Tilo Jung ist u.a. freier Journalist und im Web seit 1985 als Freier Chefredakteur sowie professionelle Linkschleuder unterwegs. Er hat seine journalistische Ausbildung beim „Nordkurier“ genossen und lebt seit 2006 in Berlin, wo er durch diverse Erfahrungen in der Start-Up-Szene sozialmedial geschult wurde. In den „alten Medien“ ist Tilo derzeit regelmäßig im Medienmagazin auf radioeins zu hören. Sein Fokus liegt im Web, wo er das Format All You Can Ask gestartet hat (Motto: „Wir stellen den Gast, ihr stellt die Fragen.“). Außerdem macht er mit Kumpel Daniel Bröckerhoff die Penisdialoge. Ohne eigenständigen Blog ist Tilo dieses Jahr zum Blogger des Jahres nominiert worden. Er mikrobloggt auf Twitter und Facebook.
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Schlagwörter: 2012, Boarding Call, highlights, Martin Giesler, Tilo Jung, web