Web-Highlights 2012 – Im Gespräch mit Deutschlands Webbies (Teil 6)

Im aktuellen Netzpiloten Boarding Call fragen wir Experten, was deren Web-Highlight im Jahre 2012 gewesen ist. Heute mit dabei: Thilo Specht und Jürgen Kuri.

Das Jahr 2012 war wieder einmal ein bewegendes Jahr. Der Viral „Kony 2012“, war das erste Internetvideo, das innerhalb von fünf Tagen 70 Millionen Mal aufgerufen wurde. Facebook hat die Nutzer-Milliarde durchbrochen und Redbull zusammen mit Felix Baumgartner sämtliche YouTube-Rekorde auf einen neuen Höchststand katapultiert. Doch was hat deutsche Webbies, neben diesen Meldungen der Superlative noch so bewegt? Wir haben einige Web-Influencer gefragt: „Was war dein diesjähriges Highlight im Web?“


 

Thilo Specht (Burson-Marsteller)

2012 war ein tolles Jahr. Auch ein bisschen scheiße und phasenweise dröge. Aber eben auch spannend, lustig und himmelblau mit Kirschgeschmack. Überhaupt kann sich jeder bald sein ganz eigenes 2012 backen: Makerbots machen es möglich. Die 3D-Printer für den Hausgebrauch haben dieses Jahr merklich an Fahrt aufgenommen und Plattformen wie thingiverse.com zeigen uns überdeutlich, was da auf uns zukommt. Das Netz lernt Haptik.

Was mich auch 2013 berührt: Die On-Demand-Services Spotify (Musik) und Skoobe (E-Books), beide dieses Jahr offiziell in Deutschland gestartet. IMHO sind diese Anbieter Pioniere für ein neues Verständnis im Umgang mit Medien, das Schule machen wird: Nicht mehr für einzelne Titel zahlen wir, sondern für den Zugang. Was übrigens schon Kim Schmitz mit Megaupload bewies: Kurz nach seiner Verhaftung im Januar wurde bekannt, dass der Umsatz des dubiosen Sharehosters bei rund 175 Millionen US-Dollar liegt. Dagegen sind die 8,6 Millionen US-Dollar, die die Android-Spielekonsole Ouya auf kickstarter.com einsammelte, natürlich Peanuts. Das Projekt ist jedoch strahlendes Beispiel für das noch junge Phänomen Crowdsourcing, das 2012 viel Reden von sich machte.

Mehr als die Jahre zuvor ist das Web 2012 also Infrastruktur für (neue) Geschäftsmodelle und -prozesse. Diese Entwicklung ist mein ganz persönliches Highlight. Neben dem Meme #horsesandbayonets natürlich.


Thilo Specht ist Manager Cross Media & Campaigning bei der PR-Agentur Burson-Marsteller. Er entwickelt Strategien und Konzepte für die digitale Kommunikation. Auf Cluetrainpr.de bloggt er über das Spannungsfeld Social Media und PR, auf Twitter ist er als @tspe unterwegs.


 

Jürgen Kuri (heise, c’t)

An sich ist das ja nicht weiter bemerkenswert. Ein Politiker jubelt über seinen Wahlsieg. Möglicherweise bekommt das aber nur ein Barack Obama so cool hin, ohne gleich beispielsweise in die üblichen Wähler-Dank-und-Glückwunsch-Rituale zu verfallen. Bemerkenswert ist es eigentlich auch deswegen nicht, weil das beigefügte Foto gar nicht vom Abend des Wahlsiegs stammt.

So what? Mal ganz abgesehen davon, dass der Mehrheit der deutschen Bevölkerung, wenn nicht der Mehrheit der Weltbevölkerung ein Stein vom Herzen gefallen sein dürfte, dass Obama eben vier weitere Jahre Präsident der USA ist: Der Tweet ist ein Symbol für so ziemlich alle grundlegenden Veränderungen, die sich im vergangenen Jahr besonders im Internet manifestiert haben. Es gibt wohl kaum eine politische Kampagne, die so sehr auf Social Media gesetzt hat wie die Obama/Biden-Kampagne zur Wiederwahl. Man redet nicht darüber, dass man twittert, man tut es. Dies zeigt ein verändertes Bild der Politik: Das Internet ist nicht an sich schon ein befreiendes Medium, aber es wird so genutzt: größere Transparenz und stärkere Einbeziehung der Bürger wird zum Standard.

Das ist die eine Seite. Die andere: Big Data ist überall. Mit riesigen Datenbergen und eigenen Auswertungs-Apps für die Wahlhelfer konnte die Obama/Biden-Kampagne gezielt Wähler ansprechen. Personalisierung fast schon ins Extrem getrieben. Und das mit Daten, die die Bürger selbst zurücklassen. Big Data in der Politik, in der Wirtschaft, überall wird auf die Spuren gesetzt, die jeder hinterlässt. Big Data und den Umgang damit kann man kritisieren, aber Big Data ist Realität. Der Grundsatz der Datenvermeidung im deutschen Datenschutzrecht und damit das Datenschutzrecht in seiner gegenwärtigen Form, gehen mittlerweile an dieser Realität vorbei.

Four more years: Der Tweet und das Foto sind ein vielfach gebrochenes Symbol. Für die Erneuerung von Hoffnung, für die stärkere Interaktivität von Politik, für die mögliche Rolle des Internet als befreiendes ebenso wie als kontrollierendes Medium, für die Allgegenwärtigkeit von Big Data. Der Kontext lädt das Bild mit Bedeutung auf. Er macht den Tweet nicht nur für mich zum Tweet des Jahres.


Jürgen Kuri, Jahrgang 1959, arbeitet seit Juni 1996 für c’t, erst als Redakteur, dann als stellvertretender Ressortleiter “Internet/Netzwerke”. Seit Januar 2000 leitet er die Ressorts “aktuell/online” sowie „Magazin“ und die Aktuell-Berichterstattung von heise online. Seit dem 1. Januar 2001 ist Kuri stellvertretender Chefredakteur von c’t, seit 1. Juni 2012 auch von heise online. Kuri betreut selbst vor allem Themen zu Netzpolitik und den politischen sowie gesellschaftlichen Zusammenhängen von IT- und Kommunikationstechnik. Er ist zudem für die Kooperation mit DRadio Wissen verantwortlich, wo jeden Donnerstag und Freitag das c’t-Gespräch und jeden dritten Samstag im Monat der c’t-Onlinetalk zu aktuellen Themen stattfindet.


 


schreibt seit 2011 für die Netzpiloten und war von 2012 bis 2013 Projektleiter des Online-Magazins. Zur Zeit ist er Redakteur beim t3n-Magazin und war zuletzt als Silicon-Valley-Korrespondent in den USA tätig.


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