Geschichte entsteht aus Geschichten. Die Webseite The History Project versucht genau diese Geschichten mit moderner Technologie einzufangen und als interaktive Geschichte für zukünftige Generationen aufzubewahren und abzubilden. So sollen aus chaotischen Anekdoten und Objekten bedeutungsvolle Erinnerungen werden.
Alles begann, als Niles Lichtenstein eine Kiste voller alter Schallplatten auf dem Dachboden fand. Die Schallplatten hatten seinem Vater gehört, der vor vielen Jahren an Krebs gestorben war. Für Lichtenstein war dieser Moment so, als ob er eine wertvolle Schatztruhe gefunden hätte. “Die Musik hatte meinen Vater und mich immer verbunden. Als ich anfing die erste Platte zu hören, kamen all diese Erinnerungen hoch und ich hatte ein unglaubliches Hochgefühl.”
Desperado von den Eagles:
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Doch kaum war die Musik verklungen, war diese Verbindung, die er gefühlt hatte verpufft. Er fühlte sich traurig und alleine. Er begann fast wie besessen eine Platte nach der anderen zu hören, auf der Suche nach mehr Erinnerungen an seinen Vater. Als das nicht mehr reichte, tauchte er in alte Fotoalben ein. Er besuchte Freunde seines Vaters und interviewte sie. Seine Reise in die Vergangenheit führte ihn immer weiter. Er reiste sogar nach Vietnam, an den Ort, an dem sein Vater während des Kriegs stationiert war. “Als ich von dieser Reise wiederkam, war ich körperlich total ausgelaugt, fühlte mich aber im Geiste sehr erhoben.”
Als er aber seiner Familie diese intensive Erfahrung beschreiben und zeigen wollte, hatte er nur eine Daten-CD mit ein paar Liedern und Fotos in der Hand. “Das gab überhaupt nicht wieder, was ich erfahren hatte. Es war genau das Gegenteil von dem, was ich auf meiner Reise in die Vergangenheit erlebt hatte.”
Die Vergangenheit mit Technologien von heute für die Generation von morgen aufbewahren
Seine Erfahrung mit der Vergangenheit seines Vaters hatte Niles Lichtenstein zwei Dinge gezeigt: Erstens, Menschen leben durch die Geschichten, die wir mit ihnen verbinden, in nachfolgenden Generationen weiter und zweitens, es müsste einen Weg geben, um diese Geschichten in einer Art lebendiger, interaktiver Zeitkapsel aufbewahren zu können. So entstand wenige Zeit später The History Project. Die Webseite sieht sich als
Eine Welt, in der Momente wichtig sind, für immer aufbewahrt werden können und einfach zugänglich sind.
Die Vergangenheit soll so mit Technologien von heute eingefangen und für künftige Generationen aufbewahrt werden. Dabei kann The History Project viel mehr als etwa ein geteiltes Fotoalbum auf Facebook. Jede Geschichte wird anhand eines Zeitstrahls erzählt. Hier können einzelne Geschehnisse festgehalten werden, wie die Geburt eines Kindes, das erste Date oder der erste Tag im neuen Job. Jedes Ereignis kann dabei mit Fotos, Tonaufnahmen, Videos, Musik, Dokumenten, Landkarten, alten Zeitungsschnipseln und vielem mehr bereichert werden. “Denn es ist nicht dasselbe, wenn wir uns einfach alte Fotos anschauen oder wenn unsere Eltern daneben sitzen und uns die Geschichte und die Hintergründe zu diesen Fotos erklären.” Mit The History Project sollen genau diese Geschichten wieder erzählt werden.
So werden durch die Timeline alte Erinnerungen wieder lebendig und in einen Zusammenhang gebracht. The History Project orientiert sich dabei an die Art und Weise, wie wir selbst Erinnerungen abspeichern. Ein bestimmtes Lied kann zum Beispiel eine Welle von Bildern, Orten und Ereignissen in unserer Erinnerung hervorrufen. Genau diese Erinnerungsflut will The History Project simulieren. Ein Klick auf das Ereignis “Erstes Date” ruft zum Beispiel gleichzeitig alte Fotos, die erste Email, die Musik, die damals spielte und eine Speisekarte des Restaurants auf.
Diese Geschichts-Timelines können auch mit anderen Nutzern geteilt werden, sodass man mit mehreren gleichzeitig an einer Geschichte arbeiten kann. Niles Lichtenstein ist es dabei wichtig, dass wir stets Zugriff auf die Geschichten haben. Geschichte soll dadurch ein viel größerer Teil unseres Alltags werden: “Wer an Geschichte denkt, sieht gleich langweilige alte Wälzer oder vergrabene Zeitkapseln vor sich, die man erst in 30 Jahren wieder ausgraben kann. Aber unsere Idee ist, dass Geschichte uns in unserem Alltag begleiten soll, wenn wir morgens unsere Emails checken oder beim Essen mit der Familie, wenn wir uns diese Geschichten erzählen.”
Lichtenstein glaubt, dass wir nur in und durch unsere Geschichten wirklich lebendig sind: Wenn unsere Großeltern davon erzählen, wie sie als Kinder gespielt haben; wenn unsere Onkel und Tanten uns verraten, wie viel Unsinn unsere Eltern früher getrieben haben; wenn wir uns an unsere Schulzeit erinnern. Mit anderen Worten: Wenn wir uns an all die Geschichten, die uns ausmachen erinnern und diese weitergeben, dann bleiben wir selbst dadurch lebendig und können anderen ein Stück von uns selbst mitgeben.
Das Erinnerungschaos ordnen
All das will The History Project auf digitale Art und Weise einfangen. Dabei ist das Ausfiltern von Erinnerungsstücken ein wichtiger Teil des Prozesses. Denn einerseits haben wir viele alte Objekte wie Fotos oder Kassetten, die vom Verfall bedroht sind. Andererseits verfügen wir über riesige digitale Datenbanken mit Tausenden Fotos, die völlig überwältigend – aber in ihrer angesammelten Masse auch völlig bedeutungslos sind.
The History Project hat sich zum Ziel gesetzt, Ordnung in dieses Erinnerungschaos zu bringen. Gespeichert wird alles im Netz, mit Cloud-Technologien. So bleiben bedeutungsvolle Erinnerungen nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder und Enkel erhalten – das erhofft sich zumindest das Team von The History Project. Dabei ist das Projekt nicht nur für persönliche Erinnerungen oder als digitales Erinnerungsalbum für die Familie gedacht. The History Project kann beispielsweise auch von Firmen oder Organisationen genutzt werden, um ihre Gründungsgeschichte oder ihre Firmenideologie für ihre Angestellten, aber auch für die Zukunft festzuhalten.
Geschichte mit allen Sinnen erleben
Niles Lichtenstein gibt zu, dass die digitale Erinnerungszeitkapsel erst der Anfang ist. “Wir arbeiten derzeit auch an Techniken mit 3D Druckern oder digitalen Gerüchen, denn Erinnerung hat auch so viel mit Anfassen und Riechen zu tun.” Geschichte soll also mit allen Sinnen erlebt werden. Eine Idealvorstellung wäre für Lichtenstein etwa ein Video von der Oma beim Kochen, darunter liest man direkt das Rezept, hört die Radiomusik, die sie damals dazu gehört hat und riecht gleichzeitig das leckere Essen.
Ganz soweit ist The History Project aber noch nicht. Bisher kann man über die Webseite entweder selbst an digitalen Erinnerungesprojekten basteln (Spoiler Alert: hoher Spaßfaktor) oder das Team von The History Project, die selbsternannten Geschichts-Hausmeister, damit beauftragen, seine Erinnerungen professionell zu ordnen, entweder modern und digital als Web-Projekt, oder doch ganz klassisch – als Fotoalbum.
Und die Moral von der Geschicht
Unsere Erinnerungen und unsere Geschichten machen uns als Menschen aus. The History Project bietet eine spannende sowie unterhaltsame Möglichkeit, diese in digitalen Zeitkapseln für uns sowie für nachfolgende Generationen aufzubewahren.
Niles Lichtenstein über die Hintergründe von The History Project
Teaser & Image “Kamera-Fotos” by condesign (CC0 Public Domain).
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