Welche ökonomischen Erkenntnisse habe ich während der Corona-Krise gesammelt? In der Digitaltechnologie sind wir in Deutschland weiter als so mancher disruptive Denker dachte. Allein die Remotefähigkeit der Arbeitsplätze ist beeindruckend. Und das hat uns arbeitsmarktpolitisch geholfen. Das höhere Homeoffice-Potenzial in Deutschland macht die Wirtschaft robuster im Vergleich zu UK. Gute Gründe für einen Rechtsanspruch auf dezentrale Arbeit.
Wir haben das mit dem Indikator Stellenausschreibungen in den Sondersendungen von #NextTalk gut belegen können.
Wenig ambitionierte Rückkehr zur Anwesenheitspflicht
Unternehmen sollten sich gut überlegen, ob die Rückkehr ins Office und zur Anwesenheitsnorm jetzt wirklich die richtige Antwort auf eine neue Normalität ist. Gleiches gilt für Hochschulen, die sehr schnell unter Beweis gestellt haben, dass Online-Formate machbar sind und sinnvoll eingesetzt werden können – selbst Online-Prüfungen wurden recht einfallsreich aufgesetzt.
Macht doch die Hochschulen und die Vorlesungen zur Plattform für digitale Kommunikation – ohne Schranken, ohne Verschlossenheit, anschlussfähig, teilbar und von jedem Menschen nutzbar. Diese Utopie könnten wir sofort realisieren. Das ist kein totalitärer Ansatz, wie ein Hochschullehrer auf Twitter behauptete, sondern ein Akt der Demokratisierung des Hochschulwesens. Zudem bewirkt es ökologisch viel mehr als irgendwelche Grundsatzdebatten über nachhaltige Transformation und Streuobstwiesen.
Verkehrswende ist sofort machbar
Also ein Lob der Immobilität. Jeder nicht gefahrene Kilometer entlastet den Verkehr, senkt die Emission von klimarelevanten Treibhausgasen um 141 Gramm pro Personenkilometer und macht Menschen stressfreier. In den vergangenen Monaten war es möglich, die Zahl der PKWs pro Tag um 9 Millionen zu reduzieren, die sich morgens und abends durch den Verkehr quälen – ohne einen einzigen Cent aus dem Steuerhaushalt auszugeben. Und das gilt auch für den Verzicht auf Fahrten mit Bus und Bahn. Ich bin früher rund drei Stunden pro Tag unterwegs gewesen, um mein Studium an der FU-Berlin in Dahlem zu bestreiten. Ich wäre in den 80er Jahren froh gewesen, über die heutigen technologischen Möglichkeiten zu verfügen. Wer es ernst meint mit der ökologischen Verkehrswende, der sollte auf unnötige Mobilität verzichten. Ich habe es mehrfach beleuchtet: Wir könnten aus dem Stegreif in Deutschland auf zirka 9 Millionen PKWs pro Tag verzichten, die sich morgens und abends durch den Berufsverkehr quälen. Also kein „Zurück zur Normalität“.
Hulli-Wulli-Wunschdenken in der Wirtschaftskrise
Weitere Erkenntnis: Die Corona-Krise führt zu einem symmetrischen Schock im wirtschaftlichen Geschehen, den viele von uns so noch nicht erlebt haben. „Der Schweregrad der Rezession ist eine Funktion der Dauer des Lockdowns: Je länger die Einschränkungen andauern, desto dramatischer sind die wirtschaftlichen Auswirkungen“, so der Analyst Bernhard Steimel.
Es macht jetzt keinen Sinn, Hulli-Wulli-Wunschdenken in die Welt zu pusten und die negativen Konjunkturindikatoren aus dem Blickfeld zu nehmen. Jetzt ist wieder Wirtschaftspolitik als Staatskunst gefragt wie nach 1945.
Steimel vergleicht die Corona-Krise mit dem Einschlag eines Meteoriten. „Sie ist noch nicht vorbei und wird nach aktuellem Wissensstand voraussichtlich das ganze Jahr 2020 mehr oder weniger stark bestimmen. Ob langfristig wirksame, strukturelle Schäden an der Wirtschaft entstehen, hängt im Wesentlichen von zwei Aspekten ab: Erstens von den gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Eindämmung von Covid 19, also der Länge des Lockdowns und der Ausgangsbeschränkungen. Zweitens von den wirtschaftspolitischen Interventionen, mit denen die übelsten Folgen der Corona-Krise aufgefangen werden. Beides liegt für Unternehmen außerhalb ihrer Handlungsoptionen und sorgt für dauernde Unsicherheit. Trotzdem müssen Unternehmen jetzt Entscheidungen treffen, um ihre wirtschaftliche Basis zu erhalten und sich für den ‚Wiederaufbau‘ nach der Krise zu rüsten. Eine wichtige Grundlage für diese wirtschaftlichen Entscheidungen sind Szenarien“, so Steimel.
Ökonomie im Badewannen-U
Bei wirtschaftlichen Krisen gehen die Ökonomen von drei verschiedenen Szenarien aus. Das V-Szenario bedeutet: tiefer Einschlag, schnelle Erholung. Beim U-Szenario folgt auf die länger dauernde Wirtschaftskrise eine mehr oder weniger starke Erholung mit Erreichen des alten Niveaus. Das L-Szenario ist das negative: Die Wirtschaft erholt sich über einen langen Zeitraum nicht und bleibt auf einem sehr niedrigen Niveau. Der Wettbewerbsökonom Justus Haucap rechnet mit einem Badewannen-U.
Die Vorzeichen sind diesmal ungemütlicher als zur Zeit der Finanzkrise 2007/2008. 2009 reagierte die Bevölkerung relativ gelassen auf den Crash der Finanzmärkte. In den Medien sah man das dramatischer. Dort überschlugen sich die Meldungen über eine drohende Weltwirtschaftskrise. Also ein doppeltes Meinungsklima. Die Gelassenheit der großen Mehrheit ging vor elf Jahren auf die Kluft zwischen der Nachrichtenlage über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und den eigenen Erfahrungen zurück. Die meisten Erwerbstätigen konnten in ihrem Unternehmen keine Anzeichen der Krise erkennen. Eine Analyse nach Branchen zeigte, wie unterschiedlich einzelne Wirtschaftszweige betroffen waren. Während sich die Automobilindustrie und ihre Zulieferer im Auge des Taifuns befanden und auch der Maschinenbau stark betroffen war, erlebten die Beschäftigten der Bauwirtschaft, im Handel oder des Gesundheitswesens die Krise überwiegend über die Medien, aber nicht in der Realität. Heute ist das eher umgekehrt. Die Medien berichteten und berichten sehr viel über die Corona-Lage und viel weniger über den wirtschaftlichen Absturz.
Zynische Lockdown-Leugnung
Einige Pappenheimer versteigen sich sogar zu der Ansicht, dass es gar keinen Lockdown gegeben hat. Was für ein Zynismus und eine Verhöhnung der betroffenen Branchen – von Tourismus bis Maschinenbau. Die Menschen erleben in ihren Unternehmen hautnah, dass man kurz vor dem Abgrund steht. Also wieder ein doppeltes Meinungsklima nur mit umgekehrten Vorzeichen. Für alle wirtschaftspolitischen Akteure wird es schwieriger, die drohende Rezession abzuwenden oder zu bekämpfen.
Eine Stellschraube ist der Kampf gegen die Monopolisierungsspirale in der Netzökonomie, die durch den Lockdown noch beschleunigt wird. Also die wachsende Marktmacht der Plattform-Riesen Google, Amazon, Facebook und Co. Das Bundeswirtschaftsministerium hat dafür eine höchst sinnvolle Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vorgelegt.
- Einführung des Konzepts der „Intermediationsmacht“ als ein Kriterium zur Ermittlung einer marktbeherrschenden Stellung, um die Rolle von Plattformen als Vermittler auf mehrseitigen Märkten besser erfassen zu können. Überfällig.
- Neufassung der „essential facilities doctrine“ besonders mit Blick auf Daten, um den Zugang zu „Gatekeepern“ im digitalen und nicht-digitalen Bereich zu verbessern. Wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen sich weigert, einem anderen Unternehmen Zugang zu Daten zu gewähren, kann dieses Verhalten künftig unter bestimmten Umständen wettbewerbsrechtlich missbräuchlich sein. Kommt dem Vorschlag zur Pflicht der Datenteilung nahe, der von Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger in die netzökonomische Debatte eingebracht wurde.
- Etablierung eines Eingriffstatbestandes mit besonderen Verhaltenspflichten für große Plattformen, deren überragende marktübergreifende Bedeutung das Bundeskartellamt festgestellt hat. Das Bundeskartellamt kann ihnen künftig insbesondere folgendes untersagen: Beim Vermitteln des Zugangs zu Beschaffungs- und Absatzmärkten die Angebote von Wettbewerbern und eigene Angebote ungleich zu behandeln (self-preferencing). Wettbewerbern auf einem Markt, auf dem sie ihre Stellung schnell ausbauen können, zu behindern. Durch die Nutzung der von ihnen gesammelten wettbewerbsrelevanten Daten ein anderes Unternehmen zu behindern. Die Portabilität von Nutzerdaten zu erschweren und damit den Wettbewerb zu behindern.
- Schaffung einer Verbotsnorm zur Verhinderung bestimmter Maßnahmen, die ein „Tipping“ oder „Kippen“ von Märkten ins Monopol herbeiführen können. Das Bundeskartellamt kann künftig unter erleichterten Voraussetzungen einstweilige Maßnahmen erlassen, um den Wettbewerb zu sichern.
Der Referentenentwurf ist eine ordnungspolitische Meisterleistung im Geiste von Ludwig Erhard. „Das Kartellrecht gilt als Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft“, betont zurecht der Wettbewerbsökonom Haucap.
Blockade gegen GWB-Novelle aufgeben
Nach einem Bericht der FAZ heißt es, Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) stehe zwar hinter den Verschärfungen, sie wolle ihnen aber nur dann zustimmen, wenn Altmaier im Gegenzug seine Bedenken gegen eine Vorlage ihres Hauses aufgebe. Dabei handelt es sich um den Gesetzentwurf für faire Verbraucherverträge. Was für ein kurzsichtiger Kuhhandel. Frau Lambrecht sollte jetzt sofort die Blockadehaltung zur Änderung des GWB aufgeben.
Man könnte der Justizministerin und auch anderen Protagonisten im wirtschaftlichen Geschehen zurufen: „Manch liebgewordene Tradition wird neuen Ideen, wird anderen Vorstellungen weichen müssen.“ Das sagte Eberhard Günther, der erste Präsident des Bundeskartellamtes, zum 75. Geburtstag von Ludwig Erhard. Es könnte auch der wirtschaftspolitische Slogan für die Bewältigung der Corona-Krise sein.
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Schlagwörter: corona, Gesellschaft, Verkehrswende, wirtschaft