Katja Cragle ist eine hochaktive Frau. Sie ist engagiert, leidenschaftlich und macht alles mit viel Herzblut. Sie arbeitet Vollzeit für eine belgische Werbefirma und wenn im Job mal „die Bude brennt“, wie sie es nennt, steht sie schon mit dem Feuerlöscher daneben. Doch Katja Cragle ist auch Vollzeit-Mama. Ihr dreijähriger Sohn Emil ist ihr täglicher Sonnenschein. Beides gehört zu ihrem Leben dazu und die Frage ob Kind oder Karriere hat sie sich so nie gestellt. Als Alleinverdienerin war für Cragle schon immer klar, dass sie beides miteinander verbinden musste. Ihre Lösung: arbeiten im Homeoffice als Work-At-Home-Mama.
Homeoffice für Eltern? Nicht in Deutschland
Die WAHM, wie sie in den USA genannt werden, sind in Deutschland ein neues und vor allem seltenes Phänomen. Nach einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach vom Herbst 2015 arbeiten gerade einmal 6 Prozent der Eltern in Deutschland im Homeoffice, die Mehrheit davon (59 Prozent) sind interessanterweise Männer, obwohl sich 56 Prozent der berufstätigen Mütter wünschen, von zu Hause aus zu arbeiten.
Katja Cragle kennt es fast gar nicht anders. Seit 2009 ist ihr Büro in ihrem Haus. Damals lebte sie allerdings noch in den USA, wo es ihrer Meinung nach eine offenere Einstellung zum Homeoffice gibt als hierzulande, wie sie gegenüber den Netzpiloten erklärt. „Es ist in den USA einfacher von zu Hause aus zu arbeiten, weil es dort viel normaler ist. Auch hatte ich den Eindruck, dass es dort sehr viel selbstverständlicher war, sich digital zu unterhalten. Alles wurde über Chat erledigt, selbst wenn der Kollege nur fünf Meter weiter saß.“ Auch glaubte dort niemand, dass sie zu Hause nur faul auf dem Sofa herumlag – ein Vorwurf, mit dem die meisten Heimarbeiter in Deutschland konfrontiert werden.
Bei einer Umfrage des Bundesministeriums für Arbeit unter Beschäftigten und Betrieben in Deutschland bewerteten viele Arbeitgeber das Homeoffice-Modell als negativ. Arbeit und Freizeit würden demnach zu stark miteinander vermischt. Die Sorge: Angestellte lassen sich zu sehr ablenken. Das ist tatsächlich eine Gefahr für das Arbeiten von Zuhause, gerade für Mütter, die neben Kind und Job auch noch den Haushalt schmeißen. Denn während Mütter so einerseits Familienleben und Job besser miteinander in Einklang bringen können, liegt genau darin auch eine Gefahr. Jedoch arbeiten Work-At-Home-Mütter nicht weniger, wie Arbeitgeber vermuten, sondern eher zu viel. Menschen, die von zu Hause aus arbeiten, tendieren nämlich nach Einschätzung des Bundesministeriums für Arbeit grundsätzlich dazu, mehr Überstunden zu machen als Angestellte mit einem typischen Bürojob.
„Ich war durch meine Arbeit zu Hause gespalten“
Diese Erfahrung hat auch Claudia V. gemacht. Die Münchnerin, die ihren vollen Namen nicht nennen möchte, hat rund sechs Jahre im Homeoffice gearbeitet, von der Geburt ihres Sohnes bis nach der Einschulung. Als Selbständige wollte sie dabei sowohl 150 Prozent im Job geben als auch viel Zeit mit ihrer Familie verbringen. Denn das ist ja schließlich auch die Erwartungshaltung an das Arbeitsmodell ‚Homeoffice‘. Das war aber ein Spagat, der ihr nur selten gelang. „Ich war durch meine Arbeit zu Hause ständig zwischen Haushalt, Familie und Job hin- und hergerissen, da sich alles an einem Ort abspielte. Sprich, ich rief spät noch Kunden an, schrieb Angebote, wenn mein Sohn und sogar mein Mann zu Hause waren und verhielt mich manchmal unfair ihnen gegenüber, da ich nicht ansprechbar war, wenn ich Druck hatte. Sie waren im Entspannungs-Modus und ich wollte mein Pensum durchboxen und das bestmögliche für meine Arbeit rausholen.“
Das angeblich entspannte und flexible Arbeiten von zu Hause wurde für sie so zum reinen Stressfaktor. Während ihr Sohn in der Schule war, versuchte sie so viel wie möglich im Haushalt vorzubereiten und dabei die wichtigsten Punkte auf ihrer beruflichen Agenda abzuarbeiten. Blieb etwas liegen, wenn ihr Sohn mittags nach Hause kam, wurde dies zur Belastung, da sie einerseits Zeit mit ihrem Kind verbringen wollte, andererseits aber nie völlig vom Job abschalten konnte. „Wenn die Kinder noch Babys oder kleiner sind, mag das ja mit dem Homeoffice eine Zeit lang klappen, aber sobald sie aktiver werden, wird es sehr schwierig“, sagt sie.
Eine Tagesmutter oder Haushaltshilfe hätte sie natürlich entlasten können. Doch das hätte einen guten Teil ihrer Einnahmen wieder aufgefressen. So hat sich Claudia V. vor zwei Monaten dazu entschieden, ihr Homeoffice dicht zu machen und sitzt seitdem wieder als klassische Angestellte im Büro. Rein rechnerisch verbringt sie dadurch zwar weniger Zeit mit ihrem Sohn und ihrem Mann, doch die Zeit, die sie gemeinsam mit der Familie hat, ist dann wenigstens zu 100 Prozent Freizeit.
Wenn die Kinder zu Hause sind, kann man das Arbeiten vergessen
Dieses Dilemma kennt auch die Webentwicklerin Katrin Härtl aus Hürth bei Köln. Sie hat zwei Töchter, die gerade im Kindergarten- und Kitaalter sind. Zum Arbeiten kommt auch sie nur, wenn die beiden aus dem Haus sind, erzählt sie im Netzpiloten-Gespräch: „Wenn die beiden zu Hause sind oder Ferien haben, kann ich das Arbeiten eigentlich vergessen. Denn dann kommen meine Töchter alle zehn Minuten zu mir, damit ich den Klebestift halte oder die Legosteine auseinander baue.“ Dennoch ist das Work-At-Home-Modell für sie ideal. Sie spart sich die nervige Pendelei und kann ohne Ablenkung von Kollegen fokussiert an ihren Projekten arbeiten. Ihr Tag sieht so aus, dass sie am Morgen arbeitet und am Nachmittag und Abend Zeit für ihre Familie hat. Möglicherweise kann sie besser abschalten als Claudia V., weil sie nicht selbständig ist, sondern als Angestellte mit festen Zeiten für ein Unternehmen arbeitet.
Dennoch, zu schaffen und zu genießen ist dieses Wechselspiel zwischen Job und Familie eigentlich nur durch gute Organisation, glaubt Härtl. Auch Katja Cragle beteuert, dass es ohne einen durchstrukturierten Tag nicht gehen würde. Ihr Tag ist von der morgendlichen Fahrt zum Kindergarten über das Mittagessen um 13 Uhr am Schreibtisch bis hin zur Arbeit am Abend bis ins kleinste Detail durchgeplant.
Doch nicht nur die zeitliche Organisation, auch die räumliche Trennung von Familie und Arbeit ist dabei sehr wichtig. So ist ein Raum in Cragles Kölner Wohnung auch ganz bewusst ihr Büro. „Dort arbeite ich dann ganz normal am Schreibtisch und habe, wie auch in einem ?richtigen? Büro, meinen Laptop mit einem externen Monitor und externer Tastatur, Telefon und Drucker, um die Arbeit gut erledigen zu können. Abends, wenn Emil wieder zu Hause ist, schließe ich mich dann sogar im Büro ein, damit er nicht andauernd hereinkommt. Er versteht aber, dass das Mamas Arbeitsplatz ist.“
Brauchen wir ein Homeoffice-Gesetz?
Wenig Verständnis bei den deutschen Arbeitgebern, Überstunden und der ständige Wechsel zwischen Arbeit und Familie – ist das Work-At-Home-Modell für Mütter überhaupt erstrebenswert? „Jein“, findet Katrin Härtl, die auch für die SPD im Hürther Stadtrat sitzt, „ein gesetzlich festgeschriebenes Modell zum Homeoffice wie etwa in Holland halte ich für schwierig“, sagt sie. Denn zu sehr unterscheiden sich die individuellen Situationen von arbeitenden Müttern, um dies in einem Gesetz für festhalten zu können.
Begrüßenswert wäre es aber sicherlich, wenn mehr Mütter tatsächlich die Wahl zu so einer Arbeitsform und auch eine bessere Infrastruktur zur Kinderbetreuung hätten. Dann kann das Modell für Mütter und Karrierefrauen wie auch bei Katja Cragle voll aufgehen: „Wenn ich zwischen meiner Arbeit Emil einfach nur mal fest in den Arm nehmen kann, dann ist die Welt wieder in Ordnung.“
Image „„kid-1520705_1920““ by LuidmilaKot (CC0 Public Domain)
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