Zehn Irrtümer zum Einsatz digitaler Medien in Unternehmen

Wir stecken mitten im Wandel der Arbeitswelt durch die Digitalisierung. Die Drei-Tage-Arbeitswoche wird kommen. Nicht alle finden das toll. Viele Menschen haben derzeit Angst vor den sich abzeichnenden Veränderungen – aus sehr unterschiedlichen Gründen. Vor allem im deutschsprachigen Raum, da wir viel zu verlieren haben. Für einen Vortrag zur Sensibilisierung bei einem Kunden griff ich die 10 Irrtümer zum Einsatz digitaler Medien in Schulen von Christian Spannagel auf – und passte sie für Unternehmen an. Hier ein paar meiner Überlegungen.

Zehn Irrtümer zum Einsatz digitaler Medien in Unternehmen

Irrtum Nummer Eins: Digitale Themen sind nur was für (möchtegern) junge Menschen.

Die so genannten „Digital Natives“ gibt es gar nicht, das wissen wir heute. Sie pflegen maximal einen entspannteren Umgang mit digitalen Technologien. Wenn überhaupt. Aber es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen Alter und Netzkompetenz: Sie müssen genauso lernen, wie Buchhaltung im Rechner funktioniert. Oder kollaboratives Arbeiten. Oder: Datenschutz und ein kooperatives Urheberrecht. Oder im Video einen Spannungsbogen aufbauen, der auch für Mutti funktioniert.

Das liegt alles nicht in den Genen der jungen Menschen. Sie müssen es lernen, wie Ältere auch.

Irrtum Nummer Zwei: Die Führungsspitze ist zuständig für die Marke in der digitalen Zukunft.

Diesen Kurzschluss von „Social Media = Marketing“ haben Marketer erfolgreich in den Köpfen implementiert. Aber er ist deutlich zu kurz gegriffen. Er entspricht altem Denken: Man hat irgendein Produkt und muss es “nur” in den Markt drücken.

Heute wissen wir: Die Menschen da draußen haben Probleme und Bedürfnisse und man muss es schaffen, ihnen zeitgemäße Lösungen anzubieten. Das war im Prinzip schon immer so. Nur ist heute der Wettbewerb ein anderer und Branchenfremde denken die Geschäftsmodelle ganz neu.

Da sich zudem Bedürfnisse und Probleme fortlaufend ändern, müssen sich meist auch die Lösungen ändern. Dazu gibt es jede Menge berühmter Beispiele, wie sich heute erfolgreiche Firmen im Laufe der Zeit verändert haben: Nokia startete als Papierfabrik; Starbucks als Espresso-Maschinenanbieter, Suzuki als Webstuhl-Anbieter.

Diese radikalen Veränderungen verlangen eine gehörige Offenheit in der Belegschaft und auch eine kreative, kooperative Zusammenarbeit im Team oder Unternehmen. Es geht demnach nicht nur um Vermarktung, sondern um eine Lösungsorientierung, die von innen heraus gelebt werden muss. Dabei können digitale Technologien helfen.

Irrtum Nummer Drei: Das Unternehmen muss im Netz die Kontrolle bewahren.

Es herrscht in vielen Unternehmen die Angst nicht zu wissen, wer was wo macht. Diese Angst ist begründet, wenn die interne Stimmung schlecht ist. Dann werden Social-Media-Guidelines und interne Abstimmungsprozesse definiert, die versuchen aufzufangen, was publiziert wird.

Die Wirkung des Unternehmens verläuft jedoch von innen nach außen, und zwar in die sozialen Netzwerke hinein – dort entscheidet sich der Erfolg der meisten Unternehmen. Sowohl im B2C- als auch im B2B-Bereich, was heute lieber H2H genannt wird: „From Human to Human“.

Stimmen also intern die Prozesse mit flacheren Hierarchien und transparenteren Kommunikationskanälen, wo jeder sieht, was der andere macht, können sich Mitarbeiter/-innen effizienter austauschen und ein gemeinsames Bild entwickeln und nach außen vermitteln.

Das Unternehmen atmet dann. Es braucht weniger Kontrolle darüber, was die Mitarbeiter/-innen sagen, sondern muss „nur“ darauf reagieren, was die Kunden sagen.

Irrtum Nummer Vier: Maschinen lösen die Menschen ab (und machen Menschen überflüssig).

Jeremy Rifkin hat auf seiner Vortragstour zu seinem neuen Buch Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft angeführt, dass es noch zwei Generationen braucht bis Maschinen die unliebsame Arbeit übernehmen und wir uns den wichtigeren, sozialen Fragen zuwenden können.

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Die Maschinen übernehmen also unsere derzeitige Arbeit – was aber gar nicht schlimm ist. Es braucht bis dahin „lediglich“ eines neuen Gesellschaftsvertrages, um die Produktivitätsgewinne gerechter zu verteilen.

Bis zu diesem Zeitpunkt gilt es, diese Veränderungen als Herausforderung zu sehen. Wir müssen uns alle weiter entwickeln – niemand bringt das von Haus aus mit. Außerdem müssen wir die zwischenmenschlichen Qualitäten suchen, um diese als USP der intelligenten, empathischen, kreativen Menschheit weiterzuentwickeln. Daraus entstehen dann neue Berufsbilder, die heute noch völlig unbekannt sind.

Irrtum Nummer Fünf: Digitale Medien sind eher ein Freizeit-Instrument.

Bis heute ist die Nutzung von Facebook und sozialen Medien in Firmen oft verboten, weil sie primär als private Werkzeuge wahrgenommen werden. Daher stammt das Vorurteil, digitale Medien dienten vorrangig dem Spaß und Vergnügen.

Diesem Verständnis liegt ein alter Medien-Begriff zugrunde – zumindest in der westlichen Welt, die mit Medien einen Konsumbegriff verbinden. Das ist ein fataler Irrtum, denn Digitalien stellt vor allem einen umfassenden Werkzeugkoffer für die Arbeit zur Verfügung, in den immer wieder neue Werkzeuge rein gelegt werden. Das ist erst der Anfang. Und die Werkzeuge werden immer einfacher zu handhaben, so dass selbst die Arbeit Spaß machen kann.

Jedoch halten Institutionen meist zu lange an ihren alten, teuren Systemen fest, obwohl sie kaum jemand nutzt. Dann nutzen die Leute lieber ihre aus dem Privatleben bekannten Dienste – auch teilweise illegal, weil diese es einem eben bequemer machen. Dropbox zum Beispiel, oder Skype, oder eben Facebook. So kursieren Dokumente und Gespräche im offenen Netz, wo wirklich niemand mehr die Kontrolle hat – außer der NSA …

Das kann man als Firma nicht verhindern. Man kann nur ein Problembewusstsein schaffen – und eine zeitgemäße Arbeitsumgebung.

Irrtum Nummer Sechs: Digitale Medien lösen analoge ab (und es braucht keine neuen Konzepte).

Digitalien ist mehr als nur ein paar bunte Bildchen und Multimedia. Das Neue ist der soziale, interaktive Charakter mit Netzwerk-Effekten. Daraus leiten sich neue Business-Konzepte ab – komplett neue, die alte Konzepte auf eine neue Stufe hieven. Erst recht, wenn wir das Potenzial von Smartphones mitdenken, wenn erst einmal das Bandbreiten-Problem gelöst ist.

Schauen wir uns die Musikindustrie an: Heute sind Konzerte wieder total in. Weil Musikhören im Alltag nichts mehr kostet, entwickeln sich neue Geschäftsmodelle.

Es ist soviel denkbar, wenn man sich kreativ darauf einlässt. Die entscheidende Frage heute ist nicht mehr: Wie kann ich dem Kunden möglichst viel verkaufen? Sondern zentral ist heute: Wie können wir unserem Kunden noch mehr helfen? Dazu braucht es die kollektive Intelligenz der gesamten Belegschaft. Also lieber zusammen arbeiten und immer wieder neue Ansätze testen.

Wir leben in einer Übergangsphase. Wir müssen testen, wie die Zukunft ausschauen könnte. Es ist wichtig, dass jeder mitdenkt und sich einbringt.

Irrtum Nummer Sieben: Ich muss mich mit diesen Technologien jetzt noch gar nicht auseinandersetzen (und ich gehe auch bald in Rente).

Schauen wir zurück: Wann wurde das erste iPhone auf den Markt gebracht? Wann Facebook wurde gegründet, wann Google? Alles noch ganz frisch – und das war erst der Anfang. Niemand weiß, wie die Welt schon sehr bald aussieht. Wir können das allesamt nicht denken – niemand.

Außer der wirklich genialen Faith Popcorn:

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Die Technologien entwickeln sich also immer weiter und wir als Gesellschaft humpeln hinterher. Politik, Sozialsysteme – alles humpelt mindestens genauso wie wir.

Meine These: Nur wer mitmacht, kann die zukünftige Kultur mitgestalten. Wir müssen uns generationenübergreifend darüber austauschen – immerfort – was anstrengend sein wird. Manche bringen dabei mehr technologische Affinität mit, andere dafür mehr Erfahrung. Wenn man offen herangeht, können wir alle wechselseitig voneinander lernen und voran kommen – für uns und die nächsten Generationen.

Positiv nach vorne denken, was uns hier bekanntlich schwer fällt. Auch hart errungene, emanzipatorische Gewinne müssen grundlegend neu gedacht werden, was wieder hart sein wird. Wir müssen alle neu denken lernen.

Irrtum Nummer Acht: Mit der nachrückenden Manager-Generation ändert sich alles.

Heutzutage klagt jede/-r über die anderen. Es ist aber nicht so, als ob es nur an den Mitarbeiter/-innen läge, dass es in vielen deutschen Unternehmen nicht voran geht. Vor allem viele Führungskräfte haben Angst davor, ihre mühsam erarbeiteten Privilegien zu verlieren. Zu Recht! Angst davor, etwas falsch zu machen, weil sie ja auch nicht wissen, wie die Zukunft genau ausschaut – wie keiner von uns.

Dann erfolgt oft der Rückzug in die Arroganz. Statt sich auf Augenhöhe zu begegnen. Aber ein Wiki, in dem die falsche Eingabe eines Vorgesetzten nicht korrigiert werden darf, macht keinen Sinn. Damit wird die kollektive Intelligenz ausgeschlagen, die es in jedem Unternehmen gibt. Die Leute am Kunden sind meist diejenigen, die diese besser kennen.

Kluge Firmen wissen das und geben die Verantwortung ab. Bei Apple können die Mitarbeiter im Laden beispielsweise direkt darüber entscheiden, wie sie mit Reklamationen umgehen. Sie haben offensichtlich eine Wertebasis vermittelt bekommen. (Immer freundlich, immer kulant – eben kundenfreundlich – und die Leute rennen ihnen die Bude ein!)

Irrtum Nummer Neun: Zeit, die ich heute in digitale Medien stecke, spare ich später.

Das hoffen wir immer alle, aber es funktioniert wegen der dynamischen Entwicklungen nur bedingt. Man kann sich heutzutage sehr effizient organisieren und spart zunächst auch Zeit. So habe ich mir einmal einen ganzen Tag die Zeit genommen, mein E-Mail-System komplett neu zu organisieren und größtenteils zu automatisieren. Weil ich Dringendes von Mache-ich-wenn-ich-Zeit-habe getrennt habe, habe ich sehr viel freie Zeit gewonnen. Das hilft gegen den Informationsoverload – jedenfalls eine Weile, denn die Technologien treiben uns in gewisser Hinsicht. Vieles lässt sich immer weiter vereinfachen und überflüssige Arbeitsschritte können sinnvoller strukturiert werden – nur wir Menschen bleiben gleich.

Es ist ohne Zweifel mühsam, sich immer wieder mit neuen Tools und Prozessen zu beschäftigen. Das gilt für nahezu alle! Aber es wird seitens der Technologien immer einfacher. Die Maschinen lernen mit uns Menschen umzugehen.

Insofern erleichtern digitale Medien mittelfristig die Arbeit – aber man muss erst über den Berg, um die Aussicht genießen zu können – bis das nächste, bessere Tool am Straßenrand winkt. Dieser Irrtum stimmt also nur auf lange Sicht – mittelfristig stimmt die Aussage. Wir müssen immer weiter machen – und immer wieder neu beginnen.

Irrtum Nummer Zehn: Ich kann das nicht (weil ich das schon immer anders gemacht habe).

Doch! Jede/-r kann – davon bin ich überzeugt – wenn er oder sie will!

Ich habe meinem Vater letztes Jahr empfohlen, statt des sperrigen Computers, lieber auf ein Tablet zu setzen. Es hat einige Zeit gebraucht bis er sich mit dem Gedanken angefreundet hat. Heute geht er nirgends mehr ohne das Tablet hin. Seitdem wählt er seine Hotels nur noch nach WLAN-Empfang aus. Er fotografiert auf einmal. Und seit neuestem bewegt er sich auf Facebook – noch etwas unbeholfen und ich habe auch etwas Angst, aber er wächst da langsam rein.

Ohne Druck – und nur so kann es funktionieren. Ohne mühsame Klassenräume. Einfach machen – und nicht viel Privates preisgeben. Die sozialen Netzwerke sind unsere gesellschaftlichen Arbeitsräume. Dort verhandeln wir unsere Zukunft – idealerweise gemeinsam!

Fassen wir zusammen:

  • Der Erfolg eines Unternehmens im digitalen Zeitalter kommt von innen nach außen – und das wird unterstützt durch digitale Technologien.

  • Es müssen alle ran: Führung, IT, Mitarbeiter/-innen. Alle gemeinsam und möglichst kooperativ.

  • Wenn man intern eine moderne, gemeinsame Online-Umgebung auf Augenhöhe pflegt, entwickeln sich neue Konzepte und eine Aufbruchstimmung. Die Zukunft lässt sich mitgestalten.

  • In diesem Sinne: Auf geht’s!


Image (adapted) „Jelly Atlanta Coworking @ Octane“ by Mike Schinkel (CC BY 2.0)


beschäftigt sich mit globaler Transformation im digitalen Wandel. Sie gilt als kreative Trendsetterin und bezeichnet sich selbst als Bildungsquerulantin. Inhaltlich beschäftigt sie sich mit User Experience, Bildungspolitik, Arbeitsorganisation und unserer Zukunft in einer vernetzten Gesellschaft. Mit dem Unternehmen FrolleinFlow GbR bietet sie heute Studien, Vorträge, Consulting und verschiedene Online-Projekte an. ununi.TV ist eines dieser Online-Projekte. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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